von Thorsten Frei
Schon in der letzten Legislatur wurde das Gesetz im Bundesrat zu Fall gebracht. Anfang des Jahres wurde es vom Deutschen Bundestag erneut beschlossen. Die Rede ist von der asylrechtlichen Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten. Seit Monaten harrt sie nun in der Ländervertretung der weiteren Bearbeitung – nicht tot, nicht lebendig. Dabei muss es nicht bleiben.
Bis Ende September wurden in Deutschland rund 130 000 Asylanträge gestellt. Damit werden wir bis zum Jahresende deutlich unter der Zuwanderungszahl von 180 000 bis 220 000 bleiben, die im Koalitionsvertrag als Schwelle für eine Ultima Ratio definiert wurde. Das ist ohne Zweifel ein politischer Erfolg der großen Koalition. Doch was einmal als äußerste Grenze für einen singulären Krisenfall gefasst wurde, sollte sich nicht über mehrere Jahre großen Zustroms zu einem akzeptablen Kontingent wandeln, das Deutschland permanent aufnehmen könnte. Unser Land verzeichnet rund 800 000 Geburten im Jahr, und über einen längeren Zeitraum kann ihm nicht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefahrlos ein Fünftel seiner Bevölkerung über das Vehikel des Asylsystems zuwachsen. Das Ziel unserer Ambitionen muss deshalb eine Rückführung der Antragszahlen auf eine Größenordnung sein, wie wir sie vor der Migrationskrise verzeichnet haben. Wir sprechen in diesem Fall von maximal 75000 Personen pro Jahr.
Die Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten ist ein probates Mittel zur Reduktion missbräuchlicher Anträge. Nach der sukzessiven Erweiterung der Liste um die Länder des westlichen Balkans 2014/15 sank die Zahl der Asylanträge zum Teil drastisch. Die große Koalition hat deshalb vereinbart, alle Staaten, deren Anerkennungsquote unter fünf Prozent liegt, als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Insgesamt erfüllen derzeit rund ein Dutzend Staaten dieses Kriterium. Mit der Einstufung Georgiens, Algeriens, Marokkos und Tunesiens wurde jedoch bereits die erste Tranche im Bundesrat blockiert. In einem traditionellen Gesetzgebungsverfahren zur Einstufung eines Staates wird der Staat in einem doppelten Verfahren sowohl im Sinne des Artikels 16a Grundgesetz als auch im Sinne der europäischen Asylverfahrensrichtlinie als sicherer Herkunftsstaat eingestuft. Der Zustimmungszwang des Bundesrats wird ausschließlich durch unser nationales Grundrecht ausgelöst. Eine Einstufung im Sinne der Asylverfahrensrichtlinie wäre hingegen ohne Zustimmung des Bundesrates möglich. Sie würde die in der Praxis entscheidende Prüfung der Anträge auf Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention und auf subsidiären Schutz enorm erleichtern – entscheidend deshalb, weil sich auf das nationale Grundrecht auf Asyl seit den 1990er Jahren nicht mehr berufen kann, wer über einen Staat der Europäischen Union oder einen sicheren Drittstaat einreist. Nur 1,1 Prozent aller Antragsteller wurde in diesem Jahr ein Schutztitel auf der Grundlage von Artikel 16a gewährt. Gäbe es diesen Artikel nicht, an unserer Anerkennungspraxis würde das nichts Merkliches ändern.
Es geht bei diesem Gedanken wohlgemerkt nicht um eine europaweit verbindliche Liste sicherer Herkunftsstaaten, sondern um die Schaffung eines neuen nationalen Rechtsinstituts durch die konsequente Nutzung der Möglichkeiten des europäischen Rechts. Gegenüber der Vereinbarung im Koalitionsvertrag wäre diese Unterscheidung zwischen großen und kleinen sicheren Herkunftsstaaten ein Minus, gegen das die SPD keine Einwände erheben könnte. Der Vorteil des neuen Instituts „kleiner sicherer Herkunftsstaat“ wäre nicht primär die mit der Einstufung verbundene Verkürzung der Bearbeitungszeit der Asylanträge. Entscheidend sind vielmehr die weiteren Restriktionen: So führt die Einstufung für den Antragsteller zu reduzierten Rechtsmitteln. Zudem unterliegt er einem Beschäftigungsverbot und ist verpflichtet, bis zum Abschluss des Verfahrens in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, in der Leistungen im Wesentlichen als Sachleistungen gewährt werden. Mit anderen Worten: Von der Einstufung geht das Signal aus: Wer nicht schutzbedürftig ist und gleichwohl einen Asylantrag stellt, hat keine Bleibeperspektive und sollte sich nicht auf den Weg in unser Land machen.
Ein solches Signal stärkt unser Asylsystem, denn seine Akzeptanz wird dauerhaft nur erhalten bleiben, wenn es gelingt, zwischen Schutzbedürftigen und Wirtschaftsmigranten zu trennen. Dem gesinnungsethischen Rigorismus ist im Asylrecht hingegen ein dialektischer Grundzug zu eigen. Er wird auf Dauer das zerstören, was er unbedingt bewahren will: einen Zufluchtsort für Menschen, die vor Terror und Krieg fliehen.
Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag.
Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/sichere-herkunftsstaaten-asylsystem-staerken-16495279.html
