t-online: Herr Frei, in etwa zwei Wochen ist Europawahl. Viele befürchten, es könnte eine „Denkzettel-Wahl“ werden. Sie auch?
Thorsten Frei: In vergangenen Wochen bin ich viel im Wahlkampf unterwegs gewesen, und so richtig ist es bislang noch nicht gelungen, die Menschen für die Wahl zu mobilisieren. Dabei ist die Rolle des Europäischen Parlaments in den vergangenen Jahren wichtiger geworden als je zuvor. Wer denkt, dass egal ist, was da passiert, der irrt gewaltig.
t-online: Wo nimmt die EU denn großen Einfluss?
Thorsten Frei: Denken Sie nur a das Aus für den Verbrennermotor. Diese Entscheidung wird bis 2035 massive Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben. Da wird einem wirklich bewusst, wie weitreichend die Entscheidungen sind, die dort gefällt werden. Das darf man nicht unterschätzen. Für uns steht fest: Diese Entscheidung werden wir revidieren.
t-online: Wie beeinflusst der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die kommenden Wochen und die Wahl als solche?
Thorsten Frei: Der russische Angriffskrieg zeigt uns einmal mehr, dass die europäischen Nationalstaaten für geopolitische Fragen als Regelsetzer zu klein sind. Und es macht ganz besonders deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns in der europäischen Zusammenarbeit weiterentwickeln. Dabei sollten wir den Grundsatz der Subsidiarität aber immer im Blick behalten.
t-online: Inwiefern?
Thorsten Frei: Die EU muss sich nicht um jedes Thema kümmern, sondern um die Themen, wo es wirklich den Unterschied machen kann. Und wenn es um Sicherheit, um Freiheit und Frieden auf unserem Kontinent geht, dann ist es unzweifelhaft so.
t-online: Ist das Europa, wie wir es kennen, gefährdet?
Thorsten Frei: Wir sollten uns vor der Illusion hüten, dass die Art, wie wir heute leben, für alle Zukunft gesichert ist. In den allermeisten Staaten der Erde haben wir es nicht mit liberalen Demokratien, mit Rechtsstaaten zu tun. Sondern ganz im Gegenteil häufig mit Autokratien jedweder Passform. Deswegen dürfen wir uns nicht zurückzulehnen. Wir müssen unsere Demokratie mehr denn je schützen, jeden Tag aufs Neue.
t-online: Wie viel Sorge bereitet es Ihnen vor dem Hintergrund, dass populistische Parteien gerade in immer mehr europäischen Ländern im Aufwind sind?
Thorsten Frei: Das besorgt mich sehr. Und es muss unser oberstes Ziel sein, diese Entwicklung zu stoppen. Das gilt insbesondere auch für Deutschland.
t-online: Wir sprechen hierzulande immer über die Brandmauer. Gibt es auf europäischer Ebene nicht längst einen „normaleren“ Umgang mit Rechtspopulisten?
Thorsten Frei: Die Parteien anderer Länder sind sicher nicht eins zu eins mit dem Spektrum in Deutschland vergleichbar. Mehrheitsbildungen im Europäischen Parlament sind ungleich komplexer und volatiler, als das beispielsweise im Deutschen Bundestag der Fall ist. Und deswegen, glaube ich, muss man dem auch mit einem gewissen Respekt begegnen.
t-online: Also keine Brandmauer auf europäischer Ebene?
Thorsten Frei: Für uns als CDU/CSU und auch als EVP gilt auf europäischer Ebene, dass für jede Form der Zusammenarbeit drei wesentliche Faktoren erfüllt sein müssen. Erstens: Partner müssen proeuropäisch sein. Zweitens: Sie müssen pro Rechtsstaat sein. Und drittens: pro Ukraine.
t-online: Sind Marine Le Pen oder Giorgia Meloni mehr oder weniger gefährlich als Alice Weidel?
Thorsten Frei: Wir erleben vor allem die AfD und Frau Weidel jeden Tag hier im Parlament. Und bei der AfD sehen wir, welche enorme Radikalisierung in den vergangenen Jahren stattgefunden hat. Für uns ist deshalb klar, dass eine Zusammenarbeit mit dieser Partei auf jedweder politischen Ebene völlig ausgeschlossen ist. Mit Blick auf Frau Meloni müssen wir feststellen, dass sie in Italien als Ministerpräsidentin über eine stabile Regierungsmehrheit verfügt. Im Übrigen finde ich es bezeichnend, dass sowohl Le Pen als auch die italienische Lega ihre Fraktionsgemeinschaft mit der AfD im Europäischen Parlament aufgekündigt haben, weil ihnen die Partei zu radikal geworden ist.
t-online: Sie haben gerade über die Radikalität der AfD angesprochen. In den vergangenen Wochen kam es im Wahlkampf immer wieder zu Ausschreitungen und Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker. Trägt die AfD eine Mitverantwortung?
Thorsten Frei: Wir erleben derzeit eine Polarisierung in unserer Gesellschaft, die besorgniserregend ist. Gewalt hat im politischen Meinungsstreit nichts verloren. Und da sehe ich eine AfD mit ihrer Spalterei natürlich auch in der Verantwortung.
t-online: Friedrich Merz wollte die AfD halbieren. Bislang scheint es nicht zu gelingen.
Thorsten Frei: Populisten sind immer dann stark, wenn Regierende die Herausforderungen und Probleme nicht zu lösen vermögen. Das ist der entscheidende Punkt. Die Migrationskrise beispielsweise hat die Ampel lange geleugnet und ignoriert sie im Grunde bis heute. Die Migrationsfrage ist das verbindende Element in Europa. Hier müssen schnell echte Lösungen auf den Tisch.
t-online: Kann Europa, kann die EU hier wirklich einen Unterschied machen?
Thorsten Frei: In einem Europa der offenen Binnengrenzen muss die EU hier sogar einen Unterschied machen. Die Bundesregierung darf sich aber nicht hinter Europa verstecken. Die Weiterentwicklung des gemeinsamen europäischen Asyl- und Migrationsrechts war wichtig, aber nicht mehr als ein erster Schritt. Und es ist die Verantwortung der Ampel, dass da auf europäischer Ebene nicht mehr rausgekommen ist. 15 Staaten haben das inzwischen angemahnt. Und ich teile diese Einschätzung. Wir sind der Auffassung, dass wir den anhaltenden hohen Migrationsdruck auf Europa nur durch Externalisierung lösen können. Das bedeutet, dass Asylverfahren nicht mehr innerhalb Europas, sondern in sicheren Drittstaaten stattfinden. Im Falle eines positiven Ausgangs wird vor Ort Schutz gewährt.
t-online: Ist Ruanda ein sicherer Ort?
Thorsten Frei: Ich kann das aus der Entfernung nicht pauschal beurteilen. Einige meiner Partei- und Fraktionskollegen haben das Land besucht und berichtet, dass es über sehr stabile Strukturen verfügt. Ruanda ist ein Land, das in den vergangenen 30 Jahren eine beachtliche Entwicklung durchgemacht hat.
t-online: Hört sich nicht ganz überzeugend an.
Thorsten Frei: Zunächst gilt es, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Die Frage, mit welchen Ländern man dann zusammenarbeitet, stellt sich erst viel später. Ich bin überzeugt davon, dass es in Afrika mehrere Länder gibt, die grundsätzlich bereit, aber auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten in der Lage sind, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Sprich, wir dürfen bei der Drittstaatenlösung nicht immer nur von Ruanda sprechen. Es könnten am Ende auch andere Länder sein, in denen man so etwas macht.
t-online: Welche zum Beispiel?
Thorsten Frei: Fest steht, dass Länder wie der Senegal oder Ghana als sichere Herkunftsstaaten gelten. Beide würden die rechtsstaatlichen Anforderungen erfüllen. Auf der anderen Seite mache ich mir keine Illusionen, dass eine solche Drittstaatenregelung sehr anspruchsvoll ist. Sie setzt eine Partnerschaft auf Augenhöhe voraus. Allerdings könnte man so etwas in einem umfassenden Vertrag regeln, der beispielsweise auch besondere Zugänge zum europäischen Binnenmarkt oder zum Arbeitsmarkt beinhaltet. Man könnte auch über Ausbildungskooperationen nachdenken.
t-online: Und die Finanzierung?
Thorsten Frei: Es ist klar, dass wir für Leistungen, die andere für uns erbringen, bezahlen müssten. Wenn ich mir aber anschaue, dass allein Deutschland im vergangenen Jahr insgesamt fast 50 Milliarden Euro für das Thema Migration ausgegeben hat, wird doch klar: Nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten, sondern auch unter ökonomischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten würden wir mit dem Modell besser fahren.
t-online: Macht Europa in der Frage der Migration wirklich den Unterschied?
Thorsten Frei: Ob wir es wollen oder nicht: Wir kommen an Europa in dieser Frage langfristig nicht vorbei. Insbesondere dann, wenn wir a den europäischen Außengrenzen ansetzen. Und genau das hat man ja versucht. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass diese jahrelangen Verhandlungen auf europäischer Ebene zu einem besseren Ergebnis geführt hätten, wenn die deutsche Bundesregierung eine konstruktive Rolle gespielt hätte. Wir Deutschen sind in Europa die migrationspolitischen Geisterfahrer. Kein anderes Land in Europa handelt so wie wir. Um es klar zu sagen: Wir sind bislang nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Es wird höchste Zeit, dass wir unsere Politik ändern, damit wir auf europäischer Ebene vernünftige Lösungen in der Migrationspolitik erreichen.
t-online: Ein anderes Thema: Frau von der Leyen vermeidet bislang eine klare Aussage zur Schuldenbremse. In einem Interview sagte sie kürzlich sogar, sie sei offen für eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU. Dabei steht in Ihrem Wahlprogramm von CDU und CSU eine klare Absage an weitere EU-Anleihen. Wie geht das zusammen?
Thorsten Frei: Die Union hat dazu eine einheitliche Haltung. Das gilt für die CDU, die CSU und auch für die EVP. Wir hatten das übrigens nicht nur im Wahlprogramm, sondern auch im Grundsatzprogramm der Partei klar verankert. Wir stehen für eine verlässliche, solide Haushalts- und Finanzpolitik, die auch künftige Generationen im Blick hat. Und dazu gehört, dass wir für gemeinschaftliche europäische Schulden nicht zur Verfügung stehen. Das Wiederaufbauprogramm nach der Corona-Pandemie war eine einmalige Ausnahme. Es wird keine Fortsetzung geben, da sind wir glasklar.
t-online: Wie dürfen die Menschen die Äußerungen von Frau von der Leyen dann verstehen?
Thorsten Frei: Ich kann nur darauf hinweisen, dass unsere programmatische Ausgangslage geklärt ist und dass sich daran auch jeder von uns gebunden fühlen sollte.
VIn einer späteren Debatte hat Frau von der Leyen noch mal etwas anders argumentiert. Anstelle der Euro-Bonds, also neuer Schulden, nennt sie zwei weitere Wege, um das EU-Budget zu vergrößern: Die Mitgliedsstaaten erhöhen ihre nationalen Beiträge, oder die Kommission bekomme mehr Eigenmittel. Halten Sie eine dieser beiden Optionen für realistisch?
Thorsten Frei: Nein.
t-online: Apropos, in der Ampel wird derzeit jeder Euro zweimal umgedreht. Das Problem hätten Sie, wenn Sie regieren, auch. Wo könnte man denn Ihrer Meinung nach sparen – und jetzt sagen Sie nicht beim Bürgergeld.
Thorsten Frei: Dann fange ich mal anders an als sonst. Es gibt im Moment einen einzigen Bereich, wo Mehrausgaben wirklich berechtigt sind: Sicherheit und Verteidigung. Alle weiteren Mehrforderungen anderer Ministerien sind im Grunde abzulehnen.
t-online: Machen Sie es mal konkret.
Thorsten Frei: Wir geben mehr als die Hälfte des Haushalts für Soziales aus. Daher muss auch dort gespart werden. Und auch, wenn es wirkt, als käme die Union immer nur mit dem Bürgergeld: Wir können das nicht außer Acht lassen. Das Bürgergeld ist mittlerweile so hoch, dass sich der Staat in Form von alimentiertem Nichtstun als Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt etabliert hat. Rund 2 Millionen Bürgergeldempfänger sind jung und gesund. Wenn wir nur die Hälfte davon in Arbeit bringen, würde das 30 Milliarden Euro in die Kassen spülen. Und dann müssen wir sehen, dass wir unsere Wachstumskräfte entfesseln. Wenn wir nur ein durchschnittliches europäisches Wachstum hätten, dann stünden uns etwa 20 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen zur Verfügung.
t-online: Am Bürgergeld zu sparen, dauert aber. Gibt es etwas, wo die Ampel unmittelbar kürzen kann?
Thorsten Frei: Ja, zum Beispiel bei stark subventionierten ÖPNV-Tickets anstelle der Investitionen in die Infrastruktur.
t-online: Also das Deutschlandticket?
Thorsten Frei: Ja.
Können Sie ausschließen, dass es mit der CDU eine Reform der Schuldenbremse gibt?
Thorsten Frei: Alles, was den Geist der Artikel 109 und 115 im Grundgesetz ändert, ist mit der Union nicht zu machen.
t-online: Herr Frei, zum Schluss noch fünf schnelle Fragen. Schwarzwald oder Berlin-Mitte?
Thorsten Frei: Schwarzwald.
t-online: Innenminister oder Kanzleramtschef?
Thorsten Frei: Wir wollen die nächste Bundestagswahl gewinnen. Was dann möglicherweise kommt, entscheide nicht ich.
t-online: Hendrik Wüst oder Friedrich Merz?
Thorsten Frei: Beides hervorragende Politiker.
t-online: Grün oder rot?
Thorsten Frei: So viel schwarz wie möglich. Und zu Grün fehlt mir die Fantasie.
t-online: Und was schätzen Sie an Olaf Scholz?
Thorsten Frei: Man kann ihm nicht nachsagen, dass er ein Dampfplauderer wäre.