Schwierige Lage im Irak auch ohne IS

Thorsten Frei zu Gesprächen in Bagdad und Erbil
Durch schwere Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten nach dem Ende der Diktatur von Saddam Hussein in einem staatlich immer stärker zerfallendem Irak bildete sich der Nährboden für den sog. Islamischen Staat (IS). Ab 2014 begann zunächst der Aufstieg der sunnitischen Islamisten im Irak. Es folgte die rasche Ausbreitung in das Vakuum des syrischen Bürgerkriegs. Die weitere Entwicklungen mit unzähligen Gräueltaten, dem Terrorexport nach Europa und die Massenflucht von Menschen aus der Region haben Deutschland in den vergangenen Jahren vor eine große Belastungsprobe gestellt. Deshalb war klar, dass sich Deutschland auch vor Ort mit humanitärer Hilfe und beim Kampf gegen IS beteiligen müsse.
Heute, knapp ein Jahr nach dem faktischen Ende des IS nach der Rückeroberung von Mossul, arbeitet das Land am Wiederaufbau. Im Mai haben Parlamentswahlen stattgefunden, die allerdings eine große Fragmentierung entlang der alten ethnischen Konfliktlinien zu Tage förderten.
In den vergangenen Tagen befand sich Thorsten Frei im Irak, um sich über die Einsatzbedingungen der deutschen Soldaten, Polizisten und zivilen Helfer, die Lage von Flüchtlingen in der Kurdenregion sowie die aktuelle politische Situation nach den Parlamentswahlen zu informieren. Seine Reise führte ihn zunächst nach Bagdad und dann nach Erbil in die kurdische Autonomieregion in Nordirak.
In Bagdad erlebte Frei eine hoch angespannte Lage – sowohl politisch, als auch in Bezug auf die Sicherheit. Seine Gespräche mit Vertretern von nationalen und internationalen Organisationen konnten ausschließlich in der extra gesicherten Green Zone stattfinden. Bei NATO und Bundeswehr informierte sich Frei in Bezug auf den fortdauernden Anti-IS-Einsatz. Vertreter von UNAMI und UNDP, die den zivilen und staatlichen Wiederaufbau unter dem Dach der Vereinten Nationen vorantreiben, zeichneten ihm ein umfassendes Bild von der Lage im Land in Bezug auf Infrastruktur, Wirtschaft und Lebensbedingungen. Gleiches gilt auch für die Treffen mit EUAM und GIZ, die sich als europäische bzw. deutsche Aufbauinstrumente ebenfalls am Wiederaufbau beteiligen.
Politische Gespräche zur Situation im Irak nach den Wahlen und zu regionalen Kontexten führte Frei mit hochrangigen Vertretern aus dem Lager von Wahlgewinner Al-Sadr, dem Gouverneur der Provinz Anbar und dem ehemaligen Sicherheitsberater von Ministerpräsident Haider Al-Abadi.
Fast noch komplizierter wurde es in der Folge in Erbil. Dort ist die Lage nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom letzten Herbst total festgefahren. Daraus folgender Streit zwischen kurdischer Regionalregierung und der Zentralregierung in Bagdad sowie die völlige Zerstrittenheit der kurdischen Parteien untereinander haben die Musterregion innerhalb kürzester Zeit in einen Zustand totalen Stillstands gebeamt.
Eine Analyse der Situation und möglicher Auswege unternahm Thorsten Frei bei Treffen mit hochrangigen Vertreter der großen kurdischen Parteien PUK und KDP, mit dem kurdischen Peschmerga-Minister Karim Sinjari sowie Vertretern des Bundeswehr-Einsatzkontingents und des Rotes Kreuzes.
„Der Irak ist aufgrund seiner Größe und geografischen Lage ein Schlüsselland zur Befriedung der gesamten Region. Gute Verbindungen nach Iran und Saudi-Arabien, aber auch in die Türkei unterstreichen, dass Bagdad eine konstruktive Rolle zur Beilegung der Feindseligkeiten zwischen Sunniten und Schiiten spielen könnte. Positiv erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass Irak nach dem faktischen Ende des IS mehr und mehr außenpolitische Initiative ergreift“, so Frei.
„Dennoch ist auch klar, dass das Land nach seinem Weg seit 2003 noch immer vor großen ethnischen Herausforderungen in Bezug auf eine tatsächlich inklusive Politik für Sunniten, Schiiten, Kurden und andere Minderheiten steht. Nach wie vor gibt es große Parallelen zurzeit vor dem Erstarken des IS. Ein Wiedererstarken ist nicht auszuschließen. Deshalb hoffe ich auf die rasche Bildung einer Regierung, die sich um die Probleme aller Volksgruppen gleichermaßen kümmert und die notwendige Modernisierung des Landes mit Kraft voranbringt.“
Mit Blick auf den Einsatz der Bundeswehr ergänzt der direkt gewählte Abgeordnete abschließend: „Es ist richtig, dass wir vor Ort beim Wiederaufbau staatlicher Strukturen helfen. Schließlich haben wir größtes Interesse an einem friedlichen Nahen Osten und einem Ende der Massenmigration. Ebenso richtig ist, dass wir sowohl in Erbil, als jetzt auch in Bagdad präsent sind. Somit kann Deutschland auch vor Ort und auf Arbeitsebene als Brückenbauer, Vermittler und professioneller Berater agieren.“