Plädoyer für ein modernes Beleidigungsstrafrecht

von Georg Eisenreich und Thorsten Frei
Der feige Mord an Walter Lübcke im Sommer letzten Jahres war der erschreckende Höhepunkt einer Eskalation von Beleidigungen, Häme und Hetze. Der Staat muss handeln. Wer Gewalt verhindern will, muss bei den Worten anfangen. Dazu müssen wir an der Wurzel ansetzen: dem Hass, insbesondere im Netz. Dieser vergiftet das gesellschaftliche Klima und unterdrückt die Meinungsfreiheit anderer, die ihre Meinung aus Sorge vor hasserfüllten Reaktionen lieber für sich behalten. Beleidigungen und Anfeindungen dürfen nicht Alltag werden. Eine Demokratie lebt davon, dass eine lebendige und offene Diskussion möglich ist und jeder Einzelne vor Bedrohung, Anfeindung und Gewalt geschützt wird. Wenn wir im Kampf gegen strafbare Hassbotschaften erfolgreich sein wollen, brauchen wir auch ein zeitgemäßes Strafrecht.
Freiheit im Internet – ja. Aber „ohne Sicherheit ist keine Freiheit“. Diese von Wilhelm von Humboldts stammende Aussage hatte bereits im Jahre 1792 ihre Gültigkeit. Über 200 Jahre später gilt er noch immer, auch in der digitalen Welt. Eine der Kernaufgaben des Staates ist es, Sicherheit zu gewährleisten und die Grundrechte zu schützen. Schutzlücken im Internet darf der Staat nicht akzeptieren. Daher darf das Internet kein rechtsfreier Raum sein.
Es ist an der Zeit, das Beleidigungsstrafrecht nicht nur punktuell zu ändern, sondern umfassend zu modernisieren. Der bayerische Entwurf zur Reform der Beleidigungstatbestände wird dieser Herausforderung gerecht, da der Vorschlag über den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität hinausgeht. Die zentralen Straftatbestände wurden in den letzten 150 Jahren nicht wesentlich verändert. Sie schützen den Einzelnen nicht mehr in allen Lebenssituationen. Eine Reform der Beleidigungsdelikte muss dabei die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit achten. Unser Zusammenleben basiert auf einem vielfältigen Diskurs, dem Ringen um das bessere Argument und dem Austausch unterschiedlicher, auch gegensätzlicher Standpunkte. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem politischen Geschehen, mit Parlamenten, Parteien und Politikern ist nicht nur zulässig, sie ist notwendig. Die Meinungsfreiheit findet aber ihre Grenze dort, wo das Strafrecht beginnt. Mit der Anpassung des Beleidigungsstrafrechts an unsere moderne digitale Welt fordern wir keine unverhältnismäßigen Strafschärfungen. Die wesentliche Änderung soll darin bestehen, dass besonders schwerwiegende Beleidigungen härter bestraft werden können. Auf Beleidigungen, die über das Internet verbreitet werden, Hassreden, Beleidigungen gegenüber Personen des politischen Lebens und das sog. Cybermobbing müssen tatangemessene Strafen folgen.
Das Phänomen des Cybermobbings wird gegenwärtig vom Strafgesetzbuch nicht ausreichend erfasst. Cybermobbing ist die fortgesetzte und systematische Belästigung von Personen im Internet. Die Belästigung äußert sich häufig in Beleidigungen. Für eine angemessene strafrechtliche Ahndung reicht es aber nicht aus, einzelne Beleidigungshandlungen herauszugreifen und zu ahnden. Um Cybermobbing wirkungsvoll entgegenzutreten, braucht es einen Straftatbestand, der das Unrecht der Tat adäquat abbildet und eine höhere Strafe ermöglicht.
Hassrede müssen wir entschlossen bekämpfen. An diejenigen, die mit rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonst menschenverachtenden Äußerungen Hass transportieren, müssen wir ein klares Signal senden. Wenn einzelne Personen oder Gruppen gezielt durch strafbare Hassrede ausgegrenzt werden, brauchen Gerichte schärfere Sanktionsmöglichkeiten.
Wir erleben, dass Personen des politischen Lebens, insbesondere auf kommunaler Ebene, bedroht und angegriffen werden. Unsere Demokratie lebt davon, dass sich Menschen für unser Gemeinwohl einsetzen. Angriffe auf Personen des politischen Lebens sind auch Angriffe auf unsere Demokratie. Deshalb müssen wir unsere Bürgerinnen und Bürger besser schützen.
Klar ist aber auch: Schwerwiegende Beleidigungen müssen effektiver verfolgt werden können. Ohne ausreichende Ermittlungsinstrumente wird es nicht gelingen, Hasskriminalität erfolgreich zu bekämpfen. Im Gegenteil: Viele Täter glauben, dass ihre Taten in der Anonymität des Netzes keine Folgen haben. Im Gegenzug verlieren Opfer das Vertrauen in unseren Rechtsstaat, wenn die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsvielfalt nicht gewährleistet wird. Dies wäre für unsere Demokratie fatal. Der Rechtsstaat muss sich daher mit aller Entschlossenheit gegen Hasskriminalität zur Wehr setzen.
Das Gesetz der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität ist ein notwendiger und erster wichtiger Schritt. Wenn dieses Gesetz aber effektiv schützen soll, muss es ausreichende Ermittlungsinstrumente einerseits und ein modernes Beleidigungsstrafrecht andererseits beinhalten. Der bayerische Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch. Das Bundesjustizministerium sollte die Chance nutzen und die weitergehenden Vorschläge in das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität aufnehmen. Denn für alle Demokratinnen und Demokraten gilt: Wir müssen uns dem Hass entgegenstellen!
Georg Eisenreich ist Staatsminister der Justiz in Bayern.
Thorsten Frei ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag.

Der Artikel ist am 18.02.2020 in der Online-Ausgabe der F.A.Z. in der Rubrik „Einspruch“ erschienen.

 +++ Wochenmärkte (je 90 Minuten): 1. Feb., 9 Uhr: Hausach/ 11 Uhr: Wolfach / Freitag, 7. Feb., 8.30 Uhr: Donaueschingen / 10.30 Uhr: Bad Dürrheim / Samstag, 8. Feb., 9 Uhr: St. Georgen (Edeka) / 11 Uhr: Villingen (Innenstadt) / Freitag, 14. Feb., 8.30 Uhr: Donaueschingen / 10.30 Uhr: Bad Dürrheim / Samstag, 15. Feb.: 9 Uhr: Schwenningen / 11 Uhr: Villingen (Innenstadt) / Freitag, 21. Feb., 8.30 Uhr:  Donaueschingen / 10.30: Bad Dürrheim / Samstag, 22. Feb., 9.30 Uhr: Schwenningen / 11 Uhr: Villingen (Innenstadt) +++