Im Interview mit der NZZ hat Thorsten Frei das Wirken von Dr. Wolfgang Schäuble rückblickend gewürdigt. Das Interview führte Susann Kreutzmann.
NZZ: Wolfgang Schäuble hat sich um Deutschland verdient gemacht. Was ist sein größtes Vermächtnis, das er für unser Land hinterlassen hat?
Thorsten Frei: Es ist schwer, all seine Verdienste auf einen Nenner zu bringen. Er hat 51 Jahre und damit so lange wie kein anderer Abgeordneter dem Deutschen Bundestag angehört. Wolfgang Schäuble hatte über Jahrzehnte hinweg herausragende Parlaments- und Regierungsämter. Er war der Architekt der Deutschen Einheit, hat als Innenminister den Einheitsvertrag verhandelt und damit die Grundlage für die Wiedervereinigung gelegt. Und Wolfgang Schäuble ist, wie kaum ein zweiter, für die Aussöhnung mit unseren Nachbarn Polen und Frankreich und die Idee der europäischen Integration eingetreten. Er war derjenige, der die Schuldenbremse zur Anwendung gebracht und siebenmal einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt hat, was kein Vorgänger und kein Nachfolger geschafft hat. Das sind herausragende und bleibende Verdienste, von denen auch zukünftige Generationen profitieren.
NZZ: Sie haben Wolfgang Schäuble als Vorbild bezeichnet, von dem auch Sie viel gelernt haben. Wenn Sie zurückdenken, was fällt Ihnen da ein?
Thorsten Frei: Ich verfolgte sein politisches Lebenswerk schon sehr lange, zunächst nur aus respektvoller Distanz und dann aus der Nähe als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Als ich 1990 Mitglied der Jungen Union geworden bin, war er bereits eine der prägenden Persönlichkeiten der CDU. Mich beeindruckt beides: Die monumentale politische Leistung und seine menschlichen Stärken. Er stand auch für jüngere Kolleginnen und Kollegen im Bundestag immer als Ratgeber zur Verfügung. Seine Pflichten als Abgeordneter hat er mit großer Disziplin und Geradlinigkeit ausgeübt. Das hat man auch in den letzten Wochen erlebt, wo er häufiger als die allermeisten anderen Abgeordneten an den Plenarsitzungen teilnahm. Daran kann man das protestantische Pflichtgefühl, seine Disziplin und auch die Härte gegenüber sich selbst erkennen.
NZZ: Wolfgang Schäuble war ein Ausnahmepolitiker, der die deutsche Politik der vergangenen Jahrzehnte geprägt hat. Wofür sind Sie ihm am meisten dankbar, wenn Sie zurückblicken?
Thorsten Frei: Sein politisches Leben war hauptsächlich durch Erfolge geprägt, aber auch durch schwere Rückschläge. Er hat sich nie von seinem Weg abbringen lassen. Die Aufgaben waren für ihn immer wichtiger als die Ämter. Auch darin kann er für viele von uns ein Vorbild sein.
NZZ: Wolfgang Schäuble war leidenschaftlicher Europäer, auch in schwierigen Zeiten, und unermüdlicher Kämpfer für die Demokratie. Wo wird seine mahnende Stimme am meisten fehlen, vor allem wenn es um Rechtspopulismus und Antisemitismus geht?
Thorsten Frei: In den letzten Wochen haben wir das immer wieder gespürt. Wolfgang Schäuble hat sich in der Fraktion nicht mehr so oft zu Wort gemeldet. Aber wenn er es getan hat, ging es um grundlegende Errungenschaften wie Demokratie und Rechtsstaat. Mit seiner unglaublichen politischen Erfahrung und analytischen Kraft hat er eine Einordnung geschafft, wie es keinem anderen möglich gewesen wäre. Immer dann, wenn er in der Fraktion die Stimme erhoben hat, konnte man eine Stecknadel fallen hören.
Quelle: Wolfgang Schäuble: «politisch ein Vorbild», sagt der CDU-Politiker Thorsten Frei (nzz.ch)