Im Vorfeld des Migrationsgipfels an diesem Mittwoch fordern die Länder mehr Geld vom Bund für die Geflüchteten. Rückendeckung bekommen die Länder von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei sagt im ntv.de-Interview mit Volker Petersen , zu wenig Geld sei dabei nur das eine Problem.
ntv.de: Herr Frei, Sie waren lange Kommunalpolitiker und haben noch einen guten Draht in die badische Heimat. Wie ist die Lage bei Ihnen zu Hause?
Thorsten Frei: Die Migrationszahlen sind so gewaltig, dass die Kommunen vielerorts an ihre Grenzen kommen und oftmals auch darüber hinaus. Das gilt für Baden-Württemberg ebenso wie für ganz Deutschland. Es ist eben so, dass im vergangenen Jahr mehr Schutz suchende Menschen gekommen sind als in den Jahren 2015 und 2016 zusammen. Und da ist es schon eine gewaltige Leistung der Kommunen, dass sie das bisher so gut hinbekommen haben. Auf dem Migrationsgipfel unserer Fraktion hier im Bundestag wurde allerdings auch deutlich, dass es so nicht weitergehen kann. Ich habe dort mit Bürgermeistern und Landräten aus ganz Deutschland gesprochen. Da gibt es zwar graduelle Unterschiede, je nachdem, ob sie aus dem Großraum München kommen oder eher vom Land in Thüringen. Aber die Herausforderungen sind überall enorm.
Beim Treffen an diesem Mittwoch geht es vor allem ums Geld und die Frage: Wer zahlt? Der Bund sagt, die Länder hätten mehr Geld und Flüchtlinge seien Ländersache. Hat er da nicht recht?
Ich finde die Argumente nicht glaubwürdig. Die Kommunen sind die Leidtragenden einer verkorksten Migrationspolitik. Fakt ist, dass der Bund alle Instrumente in der Hand hat, um Migration zu steuern, zu ordnen und zu begrenzen. Er tut es aber nicht. Stattdessen sendet er permanent die falschen Signale aus, verstärkt Sogwirkungen und ist offenbar nicht in der Lage, Migration zu begrenzen. Wir haben allein im ersten Quartal unabhängig von den Menschen aus der Ukraine schon rund 90.000 Asylanträge erhalten. Wenn die Bundesregierung nichts tut, werden es bis Jahresende etwa 330.000 Anträge sein. Diese Zahl ist viel zu hoch, wenn man Integration in Schule und Arbeitsmarkt gewährleisten will. Der Bund wäre in der Lage, das zu ändern. Wenn er das nicht kann oder will, dann darf er die Kommunen nicht im Regen stehen lassen.
Sie meinen also, wenn die Bundesregierung schon nicht die Gesetze verschärft, muss sie mehr zahlen?
Die Kommunen sagen sehr deutlich, dass es genau diese Begrenzung braucht. Wenn der Bund das nicht tut, dann muss er auch Verantwortung bei der Finanzierung übernehmen. Wir brauchen eine Regelung, bei denen die Kommunen pro Kopf mehr Geld bekommen, je mehr Flüchtlinge sie aufnehmen müssen. Sinken die Flüchtlingszahlen wieder, könnten die Zahlungen wieder sinken. Dass Kommunen und Länder beim Bundesfinanzminister betteln müssen, ist unwürdig und muss aufhören.
Aber das heißt auch, wir reden gar nicht in erster Linie über Geld?
Wir reden über beides. Geld hilft, die akuten Probleme zu minimieren und teilweise zu lösen. Aber mit Geld allein sind ja noch keine neuen Kita-Plätze geschaffen, Schulen gebaut und Lehrer eingestellt. Das Gleiche gilt für den Wohnungsbau. Wir brauchen eine mittel- und langfristige Strategie. Die Migration muss so begrenzt werden, dass die Menschen quantitativ überhaupt integrierbar sind. Da ließe sich einiges schnell umsetzen.
Zum Beispiel?
Am schnellsten ginge, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern. Etwa um Tunesien, Algerien und Marokko, aber auch Georgien. Aus Georgien sind im vergangenen Jahr rund 10.000 Asylbewerber zu uns gekommen. Davon wurden aber nur 0,5 Prozent anerkannt. Stehen diese Länder auf der Liste der sicheren Herkunftsstaaten, könnten die Verfahren und die Rückführungen beschleunigt werden. Das würde wirklich zur Entlastung beitragen. Dazu darf die Bundesregierung nicht weiter Gesetze machen, die die Sogwirkung verstärken. Wenn ich etwa an das Chancen-Aufenthaltsrecht denke, das die Koalition im Dezember verabschiedet hat …
Auch bekannt als „Spurwechsel“ …
… da wurde das Signal in die Welt gesendet, wer es einmal nach Deutschland geschafft hat und nicht straffällig wird, der kann auch hier bleiben. Egal, wie das Asylverfahren ausgeht. Wir müssen dem Asylbescheid wieder seinen alten Wert zurückgeben. Ein positiver Bescheid heißt, hierbleiben zu dürfen, integriert zu werden und eine Perspektive zu haben. Ein negativer Bescheid muss bedeuten, dass jemand wieder in sein Herkunftsland zurückgeführt wird, wenn er nicht freiwillig ausreist.
Aus der CDU ist oft zu hören, die Sozialleistungen seien zu hoch und lockten die Geflüchteten an.
Das ist ganz offensichtlich so. Das sehen Sie auch daran, dass es eine ganze Reihe von Rücküberweisungen von Geld in die Heimatländer gibt. Fakt ist, Sie werden auf der Welt kein Land finden, wo Sie vom ersten Tag an so viele Leistungen bekommen. Das entfaltet natürlich wie der Spurwechsel oder auch die Regelungen zum Familiennachzug eine Sogwirkung. Wenn jemand seine Heimat verlassen muss und sich überlegt, wo er hingeht, dann geht er natürlich in das Land, das ihm die größten Chancen bietet. Da werden Sie immer auf Deutschland kommen.
Die Leistungen sind aber ja bereits das Existenzminimum.
Deswegen gibt es enge verfassungsrechtliche Grenzen, diese Zahlungen zu reduzieren. Eine Möglichkeit wäre aber, mehr auf Sachleistungen zu gehen. Das wäre zwar mehr bürokratischer Aufwand, aber das könnte helfen, Anreizwirkungen zu reduzieren.
Bürgermeister und Landräte fordern, nur Menschen auf die Kommunen zu verteilen, die schon einen positiven Asylbescheid haben. Wie bekommt man das hin?
Dazu haben die Arbeitsgruppen von Bund, Ländern und Kommunen am 19. April Vorschläge gemacht. Einer davon ist die Reaktivierung der Ankerzentren. Damit könnte man die Verfahren beschleunigen, indem man alles an einer Stelle zusammenfasst. Also Identifikation, Registrierung und die Entscheidung über den Asylstatus. Idealerweise ist ein Verwaltungsrichter da, der die Entscheidung gleich überprüft. Je eher die Verfahren abgeschlossen sind, desto eher gibt es die Chance, Menschen zurückzuführen.
Sie bemängeln die derzeitigen gesetzlichen Regelungen. Nun war die CDU aber selbst 16 Jahre in der Regierung. Die Gesetze haben Sie also mitzuverantworten.
Wir haben 2018 gemeinsam mit der SPD das letzte große Migrationspaket auf den Weg gebracht, in dessen Zentrum unter anderem ein Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht stand. Nach der Bundestagswahl hat die Ampel umgehend damit begonnen, dieses Gesetz abzuwickeln. Einen Gesetzentwurf zur Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten, der ebenfalls aus dieser Zeit stammt, blockieren die Grünen nun im Bundesrat schon seit Jahren. Die Grundlage für mehr Rückführungen waren damit gelegt.
Das mit den Abschiebungen hat aber auch während Ihrer Regierungszeit nicht so gut geklappt.
Die Frage ist immer, wie man die Dinge umsetzt. Rückführungen waren schon immer schwierig, auch unter unionsgeführten Regierungen. Die Zahl der Rückführungen ist in der Corona-Pandemie stark gesunken und verharrt seitdem auf sehr niedrigem Niveau. Das Chancen-Aufenthaltsgesetz der Ampel erschwert die Durchsetzung des Migrationsrechts weiter. Wenn aber Frau Faeser nun davon spricht, auf europäischer Ebene kurz vor einem Durchbruch in der Migrationsfrage zu stehen, muss man arg aufpassen. Denn eigentlich verwässert sie nur die Vorschläge der EU-Kommission. Die liegen seit zwei Jahren auf dem Tisch und Deutschland konnte sich nicht dazu verhalten, weil es an der SPD gescheitert ist.
Auf der einen Seite haben wir viele Geflüchtete im Land, auf der anderen Seite haben wir einen Arbeitskräftemangel. Warum bringt man das nicht einfach zusammen?
Die Fakten zeigen, dass das nicht funktioniert. Von den Menschen aus Syrien, die seit 2015 und 2016 zu uns gekommen sind, leben mehr als die Hälfte noch vollständig oder teilweise von sozialen Transferleistungen. Die allermeisten kommen nicht über Helferjobs hinaus. Leider haben also die großen Migrationsströme der Vergangenheit mitnichten geholfen, den Arbeitskräftemangel in Deutschland auch nur ansatzweise zu lindern. Wir müssen zielgerichtet nach denen Ausschau halten, die integrierbar sind und die wir für den deutschen Arbeitsmarkt brauchen.