Kubicki / Frei: Streitgespräch zur Migrationspolitik

In der Samstagsausgabe der Stuttgarter Zeitung ist ein Streitgespräch zur Migrationspolitik zwischen Wolfgang Kubicki (FDP) und Thorsten Frei erschienen. Das Gespräch führten beide Politiker mit Norbert Wallet und Rebekka Wiese. Nachfolgend lesen Sie das Doppel-Interview im Volltext:

Stuttgarter Zeitung: Herr Kubicki, Herr Frei, wir möchten mit Ihnen darüber sprechen, wie sich die Migration nach Deutschland besser regulieren lässt. Dazu haben Sie, Herr Frei, einen weitgehenden Vorschlag vorgelegt. Wie sieht der aus?
Frei: Unser Asylrecht ist weder besonders human, noch erlaubt es uns die Kontrolle und Begrenzung der Migration auf ein vernünftiges Maß. Auf der einen Seite ertrinken Tausende im Mittelmeer, und es kommen vor allem junge, gesunde Männer. Auf der anderen Seite müssen wir feststellen: Es gelingt uns nicht mehr, zwischen Schutzbedürftigen und Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden. Am Ende des großen Asylprozesses steht faktisch immer ein Ergebnis: Die Menschen können sich in Europa das Land ihres Aufenthaltes frei aussuchen, und wer es einmal nach Europa geschafft hat, kann bleiben, gleichgültig ob er schutzbedürftig ist oder aus ökonomischen Gründen illegal einwandert. Die Belastungsgrenze ist inzwischen erreicht und überschritten.

Stuttgarter Zeitung: Wie wollen Sie das ändern?
Frei: Ich schlage vor, dass Europa das Individualrecht auf Asyl abschafft und durch eine Institutsgarantie ersetzt. Flüchtlinge sollten dann über Kontingente direkt aus dem Ausland aufgenommen und auf die europäischen Staaten verteilt werden. Die Größe dieser Kontingente könnte sich an den durchschnittlichen Aufnahmezahlen in den vergangenen zehn Jahren orientieren. Für Deutschland wären das rund 150.000 Aufnahmen im Jahr. So könnten wir gezielt den Menschen helfen, die unseren Schutz am meisten brauchen.
Kubicki: Ich glaube nicht, dass das funktionieren würde. Und ich bestreite, dass unser Asylrecht an sich schlecht ist. Es wird nur nicht konsequent angewandt.

Stuttgarter Zeitung: Das müssen Sie erläutern.
Kubicki: Das Asylbewerberleistungsgesetz und das Aufenthaltsgesetz stellen alle Maßnahmen zur Verfügung, um Ausreisepflichtige außer Landes zu bringen und die Faktoren zu begrenzen, die die Menschen anziehen. Das Asylbewerberleistungsgesetz schreibt fest, dass Asylbewerber vom ersten Tag an arbeitspflichtig sind. Warum wird das nicht umgesetzt? Wir könnten auch abgelehnte Asylbewerber in sichere Drittstaaten bringen, wenn die Abschiebung in die Herkunftsländer nicht möglich ist.

Stuttgarter Zeitung: Was halten Sie denn von den Kontingenten, die Herr Frei vorgeschlagen hat?
Kubicki: Wer Kontingente schafft, muss auswählen. Wollen Sie deutsche Beamte nach Syrien schicken, um zu entscheiden, wer kommen darf? Wer nicht ausgewählt wird, wird sich dennoch auf den Weg machen und steht dann vor unseren Grenzen. Und finden wir überhaupt genug EU-Staaten, die bereit wären, Kontingente aufzunehmen? Herr Frei, Sie werden Ihre tollen Ideen nicht umsetzen können. Ich bin dafür, dass wir stattdessen unser bestehendes Asylrecht endlich anwenden. Darüber sprechen Bund und Länder ja auch schon – zum Beispiel bei Sachleistungen. Im Asylbewerberleistungsgesetz ist das Sachleistungsprinzip vorrangig vor der Geldleistung. Es hält sich nur niemand daran.

Stuttgarter Zeitung: Außer den Sachleistungen: Woran denken Sie noch?
Kubicki: Um die Verfahren zu beschleunigen, könnten wir mit Rechtswegeverkürzungen arbeiten und das Verfahren auf eine Instanz begrenzen. Dann muss für die Abgelehnten auch die Konsequenz folgen, für die Abschiebungen sind auch die Länder zuständig. Da richten sich auch Fragen an die CDU. Herr Frei, wie wär’s, wenn Sie auf Länderebene erstmal das umsetzen, was überhaupt möglich wäre?
Frei: Ich empfinde Ihre Frage als ziemlich keck. Ihre FDP ist immerhin Mitglied der Bundesregierung. Mit allen Gesetzen, die Sie in diesem Bereich in den letzten beiden Jahren gemacht haben, öffnen Sie die Tür weiter. Das ist das Gegenteil von Begrenzung.
Kubicki: Nein, nein, es geht darum, dass CDU-Landesregierungen auch nicht durchsetzen, was möglich wäre. Die sind auch für Abschiebungen zuständig.

Stuttgarter Zeitung: Herr Frei, es ist noch die Frage zu klären, wie bei Ihrem Konzept die Auswahl getroffen werden soll.
Frei: Der Normalfall bei der Auswahl ist die Zusammenarbeit mit dem UNHCR.

Stuttgarter Zeitung: Trotz der Kontingente werden Leute an Europas Grenzen stehen, um Schutz zu suchen. Was passiert mit denen?
Frei: Wer als Asylbewerber nach Deutschland oder Europa kommt, ohne Kontingentflüchtling zu sein, muss wissen: Er bekommt keine sozialen Leistungen, hat keine Möglichkeit des Familiennachzugs, hat keine Arbeitsmöglichkeiten, keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Und ihn sollte die Abschiebung in ein sicheres Drittland erwarten.

Stuttgarter Zeitung: Kriege, Krisen, Klimawandel. Künftig werden noch mehr Menschen nach Europa fliehen. Ist nicht auch wahr, dass es für dieses Problem keine schnellen Lösungen geben kann – und dass wir lernen müssen, damit zu leben?
Kubicki: Wenn ich das glaubte, müsste ich aufhören, Politik zu machen. Soll ich unserer Bevölkerung erklären, dass wir unsere eigenen Grenzen nicht mehr schützen können? Dann kann ich gleich nach Hause gehen. Wir haben nicht genug Wohnungen, nicht genug Kitaplätze, nicht genug Lehrer, um diesen Zuzug zu bewältigen. Die Politik muss darauf reagieren. Den Zustand einfach hinzunehmen, wäre ein Konjunkturprogramm für die AfD. Das demokratische System muss zeigen, dass es die Probleme, vor denen wir stehen, auch lösen kann.
Frei: Erlauben Sie mir etwas Polemik: Wir glauben die Erderwärmung aufhalten zu können, sind aber nicht in der Lage, einen Migrationsstrom zu kontrollieren? Um nur ein Beispiel für wirksame Maßnahmen zu geben: An der deutsch-österreichischen Grenze, wo stationär kontrolliert wird, waren 4.489 Zurückweisungen allein im ersten Halbjahr 2023 möglich. Das brauchen wir auch an der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenze. Das zeigt, dass Politik durchaus etwas erreichen kann. Fest steht: So wie es ist, kann es nicht bleiben.