Interview mit dem Staatsanzeiger

In der aktuellen Ausgabe (30.06.23) der Wochenzeitschrift STAATSANZEIGER ist ein Interview mit Thorsten Frei zu aktuellen politischen Themen in Bund und Land erschienen. Die Fragen stellte Michael Schwarz in Berlin.
Staatsanzeiger: Herr Frei, Sie waren neun Jahre lang Oberbürgermeister von Donaueschingen. Wenn in dieser Zeit eine gute Fee gekommen wäre und gesagt hätte: Ich löse deine Finanzprobleme. Hätten Sie dann nein gesagt?
Thorsten Frei: Nein, ganz sicher nicht. Man muss allerdings dazu sagen, dass Donaueschingen ähnlich wie die allermeisten Kommunen in Baden-Württemberg geordnete Finanzen hatte und hat. Man muss insgesamt konstatieren, dass Baden-Württemberg seine Kommunen finanziell gut ausstattet, jedenfalls besser als alle anderen Länder in Deutschland.
Staatsanzeiger: Warum gönnen Sie den hochverschuldeten Kommunen im Westen der Republik dann nicht den von Bundesfinanzminister Lindner geplanten Altschuldenfonds?
Thorsten Frei: Also gönnen tue ich das jedem, das ist überhaupt keine Frage. Aber das ist ja nicht die Anforderung an Politik, sondern es geht um sachgerechte Lösungen. Hoch verschuldete Kommunen gibt es fast ausschließlich in drei Ländern, im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen. Das sind aber nicht die wirtschaftsschwächsten Regionen in Deutschland.
Staatsanzeiger: Das Saarland steckt in einem tiefgreifenden Strukturwandel.
Thorsten Frei: Dort kann ich mir auch am ehesten eine Hilfe vorstellen. Doch wir reden über Steuergeld. Deshalb argumentiere ich auch anders als die gute Fee. Die staatsrechtliche Verantwortung für die Kommunen liegt bei den Ländern. Und es gibt Länder wie Hessen, die ihre Kommunen bereits auf eigene Kosten entschuldet haben. Andere Länder wiederum statten ihre Kommunen finanziell so aus, dass sie ohne Schuldenaufnahme ihre Aufgaben gut erfüllen können.
Staatsanzeiger: Heißt das, dass sich die Union, deren Zustimmung im Bundestag gebraucht wird, dem Altschuldenfonds verweigert?
Thorsten Frei: Wir schauen uns die Vorschläge an. Aber grundsätzlich gilt, dass strukturelle Probleme auch strukturell gelöst werden müssen. Das Fass muss einen Boden haben, bevor man Geld reinschüttet. Sonst würden die Steuerzahler etwa in Baden-Württemberg die Zeche für schlechte Landespolitik in anderen Ländern zahlen.
Staatsanzeiger: Ein anderer Streitpunkt ist der Länderfinanzausgleich. Sollte Baden-Württemberg einer möglichen Verfassungsklage Bayerns und Hessens beitreten?
Thorsten Frei: Grundsätzlich sollte man sich diesen Weg offenhalten. Die Argumente der Geberländer können noch so überzeugend sein, sie sind zahlenmäßig immer in der Minderheit. Und die Bereitschaft der Nehmerländer, auf etwas zu verzichten, ist nicht sonderlich ausgeprägt. Ob das zum jetzigen Zeitpunkt richtig ist, muss man sehen. Man hat sich ja erst vor wenigen Jahren auf den aktuellen Mechanismus verständigt. Es sollten zunächst alle politischen Möglichkeiten ausgereizt werden, bevor die rechtlichen Instrumente zum Tragen kommen.
Staatsanzeiger: Brauchen wir eine dritte Föderalismusreform?
Thorsten Frei: Ja. Der Föderalismus ist eine Stärke unseres Staates. Das aber nur dann, wenn es das ständige Ringen darum gibt, besser zu sein als die anderen. Selbstverständlich muss man im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse den Schwächeren so helfen, dass sie vergleichbare Startchancen haben. Aber schlechte Politik darf nicht belohnt werden. Außerdem brauchen wir klare Zuständigkeiten, um dem latenten Zentralisierungsprozess entgegenzuwirken.
Staatsanzeiger: Sie sind in Bad Säckingen direkt an der Grenze zur Schweiz aufgewachsen. Ist für Sie der Schweizer Föderalismus ein Vorbild?
Thorsten Frei: Ja, dafür empfinde ich sehr große Sympathie. Der Föderalismus in der Schweiz schließt die Finanzierungsseite mit ein. Die Kommunen haben eigene Steuern, über die sie entscheiden. Dasselbe gilt für die Kantone und die Eidgenossenschaft. In Deutschland gilt das Gegenteil. Für Steuern ist bis auf wenige Ausnahmen immer der Bundestag zuständig. Nehmen Sie etwa die Erbschaftsteuer. Sie kommt zu 100 Prozent den Länderhaushalten zugute. Es spräche sehr viel dafür, wenn dann auch die Landtage über die Frage entscheiden würden, ob sie die Erbschaftsteuer erhöhen oder senken. Stattdessen entscheidet der Bundestag.
Staatsanzeiger: Der Bund hat Schulden in nie gesehener Höhe angehäuft, Länder und Kommunen machen Überschüsse. Wie lässt sich dieses Ungleichgewicht korrigieren?
Thorsten Frei: Das ist ein Fakt, den man zur Kenntnis nehmen muss. Umgekehrt muss man natürlich auch sehen, dass die Länder häufig kaum eigene Möglichkeiten haben, auf der Einnahmenseite etwas zu verändern. Unter dem Strich, glaube ich, würde es viel Energie, Schweiß und Einsatz rechtfertigen, wenn man darüber nachdenken würde, wie man erstens Zuständigkeiten besser trennen und zweitens für eine auskömmliche Finanzierung der jeweiligen Ebene Sorge tragen könnte.
Staatsanzeiger: Die Grünen in Baden-Württemberg denken darüber nach, wie ein Übergang von Winfried Kretschmann auf einen Nachfolger gelingen kann. Muss sich nicht auch die CDU ähnliche Gedanken machen, was Thomas Strobl angeht?
Thorsten Frei: Ich bin immer sehr dafür, Personalfragen dann zu klären, wenn sie anstehen – und nicht jetzt in der Mitte der Legislaturperiode. Wir tun gut daran, in Berlin gute Oppositionsarbeit und in Stuttgart gute Regierungsarbeit zu machen. Das ist die beste Gewähr dafür, am Ende so stark wie möglich zu werden.
Staatsanzeiger: Was macht die Polizeiaffäre mit Ihrer Partei?
Thorsten Frei: Solche Dinge zerstören immer Vertrauen. Und leider belastet dies vor allem die Polizei.
Staatsanzeiger: Und die CDU?
Thorsten Frei: Es belastet auch uns, keine Frage. Wenn Sie die politische Dimension meinen, dann hängt eben auch sehr viel davon ab, ob man mit einer solchen Entwicklung als politische Leitung rechnen konnte oder ob das nicht der Fall war. Man darf eines nicht übersehen: Wir haben es immer mit Menschen zu tun und da können Sie nicht in die Köpfe hineinschauen, sondern müssen häufig aufgrund der Aktenlage entscheiden. Und deswegen muss man, glaube ich, auch vorsichtig sein, dass man von politischen Verantwortungsträgern nicht etwas verlangt, was sie ehrlicherweise gar nicht leisten können.
Staatsanzeiger: Wie werten Sie in dem Zusammenhang die Äußerungen des ehemaligen LKA-Chefs Ralf Michelfelder. Er hat vergangene Woche im Untersuchungsausschuss die fachliche Eignung des suspendierten Inspekteurs der Polizei in Frage gestellt und einem CDU-Abgeordneten in dem Zusammenhang Rufschädigung vorgeworfen.
Thorsten Frei: Ich schätze Herrn Michelfelder sehr und habe seine Aussagen zur Kenntnis genommen. Allerdings kann ich mir als Außenstehender keine Bewertung erlauben.
Staatsanzeiger: Die Union liegt derzeit im Bund bei Umfragen unter 30 Prozent. Das kann Sie kaum befriedigen.
Thorsten Frei: Drei Dinge muss man sagen: Wir liegen deutlich besser als bei der Bundestagswahl vor anderthalb Jahren. Außerdem gibt es keine vergleichbar starke christdemokratische Partei in Europa wie die CDU. Und drittens: Ja, das stellt uns in der Tat nicht zufrieden. Wir müssen deutlich machen, dass die Ampelkoalition nicht nur eine schlechte Politik macht, sondern dass wir bessere Alternativen bieten.

Quelle: https://www.staatsanzeiger.de/nachrichten/interview-thorsten-frei-die-polizeiaffaere-belastet-auch-die-cdu-keine-frage/