Hanau ist ein fremdenfeindlicher Terrorakt, der uns alle trifft

Nach dem schlimmen Terror-Akt, die sich am Mittwochabend in Hanau zugetragen hat, gilt unser aller Mitgefühl den Opfern und ihren Angehörigen. Uns allen stockt noch immer der Atem. Einmal mehr zeigt sich die akute Bedrohung durch den Rechtsextremismus in Deutschland. Jetzt gilt es als Gesellschaft zusammenzustehen und ein entschiedenes Signal gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Ausgrenzung zu senden.
Aufgabe von Politik und den zuständigen Sicherheitsbehörden ist nun, die Hintergründe der Tat zügig aufzuklären, mögliche Verbindungen zu anderen Personen herauszufinden und die Ergebnisse in Ruhe zu bewerten. Es darf nicht zugelassen werden, dass rechtsextremer Hass und Gewalt unsere freiheitlich demokratische Grundordnung vergiften und die Gesellschaft spalten.
Die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden nehmen die Herausforderung sehr ernst. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus hat oberste Priorität. Deshalb wurden aus den Lehren am Mord an Walter Lübcke oder dem versuchten Anschlag auf die Moschee in Halle verschiedene Maßnahmen ergriffen. Es wurden bereits 600 neue Stellen bei Sicherheitsbehörden und beim Verfassungsschutz geschaffen, um Deutschland im Kampf gegen rechtsextreme Spektrum zu stärken. Aber nicht nur mehr Personal ist notwendig, sondern auch die passenden Gesetze. Thorsten Frei hat den gesetzgeberischen Anpassungsbedarf heute in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt skizziert:

Herr Frei, nach der Gewalttat von Hanau warnt der Bundeszuwanderungsrat vor einer zunehmenden Verunsicherung bei Menschen aus Einwandererfamilien. Viele hätten das Gefühl, dass auch ihnen etwas passieren könnte. Können Sie die Sorge verstehen?
Thorsten Frei: Es gibt eine akute Bedrohung durch den Rechtsextremismus. Das ist leider keine neue Erkenntnis. Die Situation hat im vergangenen Jahr mit dem Mord von Walter Lübcke und dem versuchten Massaker in Halle neue Brisanz erhalten. Auch in Hanau scheint ein rechtsextremistisches Motiv vorzuliegen. Gleichwohl bin ich überzeugt davon, dass wir ein sehr hohes Maß an Sicherheit in Deutschland haben, auch für Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund oder Menschen aus dem Ausland. Wir unternehmen weiterhin alles Menschenmögliche, um Rechtsextremismus in Deutschland kraftvoll zu bekämpfen.
WELT: Die Opposition bezweifelt, dass die Bundesregierung ausreichende Schritte unternimmt. Es brauche nun eine „Generalrevision“ aller Maßnahmen gegen gewaltbereite Rechtsextremisten, sagt etwa die FDP. Stimmen Sie zu?
Frei: Wir haben erhebliche Anstrengungen im Kampf gegen den Rechtsextremismus unternommen. Allein mit dem letzten Bundeshaushalt haben wir 600 zusätzliche Stellen beim Bundeskriminalamt und beim Bundesamt für Verfassungsschutz geschaffen, die ausschließlich der Bekämpfung des Rechtsextremismus gewidmet sind. Wir haben darüber hinaus auch eine ganze Reihe von Gesetzen verschärft. Erst am Mittwoch hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, in dem es um die Bekämpfung von Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz geht.
WELT: Der mutmaßliche Täter von Hanau war offenbar Sportschütze und im Besitz einer Waffenbesitzkarte. Auch wenn die Waffengesetzgebung gerade neu geregelt wurde: Nehmen Sie die neuerliche Gewalttat zum Anlass, um über weitere Verschärfungen im Waffenrecht nachzudenken?
Frei: Wir werden sehr genau prüfen, ob aus dem schrecklichen Massaker in Hanau waffenrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind. Grundsätzlich haben wir in Deutschland bereits heute einen der strengsten Rechtsrahmen in ganz Europa. Mit der jüngsten Waffenrechtsnovelle haben wir beispielsweise die Regelanfrage beim Verfassungsschutz und eine Begrenzung der Magazingrößen beschlossen, damit nicht schlimmste Unglücke angerichtet werden können. Wir wollen im Bereich des Waffenrechts alles tun, was mehr Sicherheit im Land schafft. Gleichzeitig müssen wir verhindern, dass für Sportschützen und Jäger zusätzliche Bürokratie entsteht, die kein Mehr an Sicherheit bringt.
WELT: Bislang ist nicht bekannt, wie sich der Täter von Hanau radikalisierte. Das mutmaßliche Bekennerschreiben gibt aber Einblick in eine von Wahn geprägte Gedankenwelt. Inwieweit stellt der Typus des wahnhaft handelten Einzeltäters die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen?
Frei: In der Tat ist es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, eine Radikalisierung zu erkennen, die sich im Stillen und außerhalb eines Gruppenzusammenhangs vollzieht. Hier stehen die Sicherheitsbehörden vor sehr großen Herausforderungen. Mit der anstehenden Verfassungsschutznovelle wollen wir dem Verfassungsschutz die Beobachtung von Einzelpersonen erleichtern, um frühzeitig auf Personen aufmerksam zu werden, von denen eine besondere Gefahr ausgehen könnte.
WELT: Um Extremisten im Netz besser aufspüren zu können, soll nach dem Willen der Union der Verfassungsschutz künftig Online-Chats mitlesen können. Die SPD lehnte diesen Ausbau der Befugnisse für Sicherheitsbehörden lange ab. Erhöhen Sie nun den Druck auf Ihren Koalitionspartner?
Frei: Wir sind mitten in der Novellierung einer ganzen Reihe von Gesetzen. Neben dem erwähnten Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität arbeiten wir parallel an der Verschärfung des Bundesverfassungsschutzgesetzes und des Bundespolizeigesetzes. Wichtig sind uns die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Onlinedurchsuchung, die den Sicherheitsbehörden insbesondere den Zugriff auf verschlüsselte und zurückliegende Kommunikation ermöglicht. Beides ist mit Sicherheit zwingende Voraussetzung dafür, dass wir Radikalisierungen feststellen können und die Möglichkeit erhalten, Vernetzungen von Tätergruppen im Netz aufzuspüren.