Interview in der Neuen Osnabrücker Zeitung:
Das Interview führte Rena Lehman
Unionsfraktionsgeschäftsführer Frei spricht über die Reaktion auf die Selenskyj-Rede – und die Flüchtlinge aus der Ukraine
Thorsten Frei ist als Fraktionsgeschäftsführer von CDU und CSU im Bundestag der zweite Mann der Opposition nach Friedrich Merz. Wie er den Auftritt des ukrainischen Präsidenten Selenskyj erlebt hat und was daraus (nicht) für Deutschland folgen sollte, erklärt er im Interview.
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat sich enttäuscht gezeigt über Deutschlands Engagement, Putins Krieg in seinem Land zu stoppen. Hat er recht mit seiner Kritik?
Seine Haltung ist absolut nachvollziehbar. Selenskyj ist der Präsident eines Landes, das völkerrechtswidrig von Russland angegriffen und bombardiert wird. Allem Anschein nach gibt es unzählige Kriegsverbrechen. Vor dem Hintergrund kann ich seine Wünsche und Erwartungen verstehen. Es bleibt aber unsere Aufgabe, klug abzuwägen und zu entscheiden, wo wir einerseits die Ukraine in ihrem Abwehrkampf unterstützen können und wo wir andererseits vorsichtig sein müssen, um den Krieg nicht in eine unbeherrschbare Situation zu bringen. Das ist unsere Verantwortung. Wir hätten aber eine Regierungserklärung gebraucht oder wenigstens eine Debatte aller Fraktionen nach seiner Rede führen müssen, um ihm den angemessenen Respekt zu erweisen.
Stattdessen wurde im Anschluss an die Rede über die Impfpflicht debattiert…
Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich hätte es richtig gefunden, wenn Bundeskanzler Scholz nach seiner Rede zum Ukraine-Krieg vor drei Wochen noch einmal deutlich gemacht hätte, wie die deutsche Positionierung mit unseren westlichen Partnern eigentlich aussieht.
Die Bundesregierung schließt ein Öl- und Gasembargo gegen Russland bislang aus. Ein Fehler?
Auch wir fordern kein Embargo bei Öl oder Gas, das wäre unrealistisch. Beim Gas haben wir die höchste Abhängigkeit von Russland. Wir sehen deshalb eine andere Gefahr: Was passiert, wenn Russland die Versorgung kappt? Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wir müssen uns auch im Klaren sein, dass alle weiteren Sanktionen – und die könnten sich nur noch auf die Energielieferungen beziehen auch Rückwirkungen auf uns haben. Eine Strategie nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ wird nicht aufgehen.
Schon jetzt führt der Krieg zu Spritpreisen, die sich viele nicht mehr leisten können. Für wie belastbar halten Sie die Solidarität der deutschen Bevölkerung mit der Ukraine?
Wir fordern, dringend die Energiesteuer zu senken, die immerhin mehr als 65 Cent pro Liter Benzin ausmacht, und die Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent zu senken. Der Staat hat durch die gestiegenen Rohstoffpreise deutliche Mehreinnahmen. Ich halte es nicht für legitim, wenn sich der Staat in dieser Situation an den Menschen bereichert. Der Staat wird trotzdem nicht jegliche Unbill von den Bürgern angesichts des Krieges abwenden können. In der deutschen Bevölkerung erleben wir derzeit eine große Solidarität, vor allem bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
Wird diese Bereitschaft anhalten?
Der Bund ist gut beraten, durch ein gutes Management und vor allem Steuerung und Koordinierung dieses Engagement zu unterstützen.
Ist das bislang nicht der Fall?
Bisher erfolgt die Aufnahme und Versorgung weitgehend durch zivilgesellschaftliche Organisationen. Sie tun das ihnen Mögliche. Doch schauen Sie sich die Situation an den Bahnhöfen an. Es geht hier insbesondere um den Schutz von Kindern und Frauen. Gleichwohl hat der Bund bislang nichts unternommen.
Die Innenministerin macht einen überforderten Eindruck. Der für Migration und die Bundespolizei zuständige Staatssekretär wurde von ihr aus parteipolitischen Gründen entlassen. Sein Amt ist verwaist. Es war früh absehbar, dass eine sehr große Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland kommen würde. Gleichwohl hat es die Innenministerin versäumt, frühzeitig einen Krisenstab ein- und sich mit den Ländern an einen Tisch zu setzen. Wir sehen nun zunehmend überforderte Städte. Die Innenministerin muss endlich aufwachen. Selbst den Koalitionspartnern geht es zu langsam.
Wissen wir ähnlich wie 2015 also gar nicht, wer eigentlich ins Land kommt?
Es gibt natürlich die Gefahr, dass die Lage auch von Menschenschmugglern ausgenutzt wird, das gab es auch in früheren Flüchtlingskrisen. Überall dort, wo die Not der Menschen groß ist, gibt es auch Verbrecher, die daraus Profit schlagen wollen. Deshalb ist entscheidend, dass wir die Kriegsflüchtlinge bestmöglich unterstützen, aber auch kontrollieren, wer zu uns kommt. Die humanitäre Notlage darf nicht ausgenutzt werden.
Sollte Deutschland die Ukraine auch militärisch stärker unterstützen?
Die Unionsfraktion ist offen dafür, weitere Waffen an die Ukraine zu liefern. Man muss das im internationalen Vergleich sehen: Das deutlich kleinere Dänemark hat bislang etwa dreimal so viele Waffen geliefert wie Deutschland. Für uns ist entscheidend, dass das, was wir tun, international abgestimmt ist, insbesondere mit unseren Nato-Partnern.
Es gibt kritische Stimmen, die warnen, Putin könnte das bereits als Einmischung in den Krieg verstehen…
Ich bin überzeugt, dass Deutschland nicht Kriegspartei werden darf. Aber wir halten uns an das, was internationalem Recht entspricht. Klar ist: Wir müssen nicht den Wünschen und Erwartungen eines Aggressors und Kriegstreibers genügen.