Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich seit 2011 in Deutschland auf fünf Millionen Menschen verdoppelt. Entsprechend groß ist der Druck auf das System in finanzieller wie personaler Hinsicht geworden. Über die wachsenden Herausforderungen für das Pflegesystem hat Thorsten Frei zusammen mit Axel Schuhen, Geschäftsführer der SilverAge Beratungsgesellschaft in Freiburg, und Markus Leichenauer, Geschäftsführer der Sozialstation Blumberg, bei der Frühjahrstagung der 105 Sozialstationen in der Erzdiözese Freiburg im Münsterzentrum in Villingen-Schwenningen diskutiert.
Der Anteil der daheim Gepflegten liegt heute bei 83 Prozent. Dieser Anteil wird wohl wegen des Personalmangels, immer teurer werdenden Pflegeheimen und einer weiter steigenden Zahl an Pflegefällen in einer alternden Gesellschaft weiter wachsen müssen. Es wurde daher gefordert, diesen Bereich noch zu stärken, etwa durch bessere Vergütung von langen Anfahrtswegen in Verbindung mit einem flexibleren Zeitmanagement, um mehr Zeit für den Patienten zu haben. Aber auch am Image müsse gearbeitet werden, lautete eine Forderung aus der Runde.
„Personal fehlt leider in allen Bereichen: Lehrer, Polizisten, Ingenieure, Handwerker… Die Liste ließe sich fortführen. Das Problem ist, dass wir 1,9 Millionen offene Stellen und 2,5 Millionen arbeitsfähige Menschen ohne Arbeit haben. Dieses Missverhältnis können wir uns nicht auf Dauer leisten. Hier müssen wir ansetzen. Aber auch beim Thema Work-Life-Balance muss es wieder ein Umdenken geben, denn auch bei diesem Modell muss Arbeit wieder mehr gewichtet werden, um den Mangel zu beseitigen“, meinte Thorsten Frei eingangs der Diskussion.
Sympathien hat Frei auch für die Anregung eines sozialen Pflichtjahrs („Deutschlandjahr“): „Vieles spricht dafür, denn viele würden nach einem Pflichtjahr in diesem Beruf sicher auch den Weg in einen Pflegeberuf einschlagen. Diese Erkenntnis gewinnen wir aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr. Auch in der CDU gibt es viel Zustimmung. Aber es gibt allgemein auch viele Stimmen gegen dieses Pflichtjahr. Wenn der Handlungsdruck aber weiter steigt, sehe ich wachsende Chancen für das Pflichtjahr“, sagte Thorsten Frei.
Viele ausländische Kräfte arbeiten heute schon in der Pflege. „Die Akquise im Ausland werden wir weiter verbessern müssen, ebenso müssen wir das Verfahren für die Anerkennung von Berufsanschlüssen vereinfachen. Eine Beschleunigung könnte eine Einwanderungsagentur schaffen. Heute laufen Arbeitsmigration und Asylverfahren zentral über das BAMF, weshalb alles viel zu lange dauert. Ein Flaschenhals sind allerdings die Konsulate. Sie können maximal 25 000 Visa im Jahr für gesamten Arbeitsmarkt ausstellen. Das ist viel zu wenig, um unsere Probleme zu lösen. Klar muss bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen aber auch sein, dass die Leute ihren Beruf auch beherrschen. Das wird von allen erwartet, vom Pfleger wie auch Fliesenleger“, sagte Frei.
Ohne mehr Geld für die Pflege wird es angesichts der in den nächsten Jahren um 30 Prozent weiter steigenden Zahl an Pflegebedürftigen nicht gehen. „Geld allein wird die Probleme aber nicht lösen. Wir hören ja immer, dass die Bezahlung gut ist, die Belastung aber zu hoch“, sagte Frei. Erleichterung könnte, so Frei, beispielsweise die Digitalisierung bringen, um die bürokratischen Aufgaben zu meistern und in der direkten Pflege zu unterstützen. Aber auch der Bürokratieabbau selbst würde spürbare Entlastungen bringen. Zur Finanzierung meinte Frei, dass die Pflegeversicherung eine Teilkaskoversicherung sei. Dies heiße, dass die Bevölkerung im Arbeitsleben bereits mehr an die Zeit in der Pflege denken und Geld hierfür zurücklegen müsse.
Ein entlastender Aspekt wurde aus der Runde angesprochen: Eine bessere Betreuung der Kinder würde auch mehr Chancen für Frauen für mehr Arbeit oder eine Rückkehr in die Pflegearbeit bringen. Da auch in der Betreuung das Personal knapp sei, müsse man, so Frei, seien hier nur Verbesserungen möglich, wenn man von den hohen Standards abrücke.
