Regionale Reisebeschränkungen seien eine gute Möglichkeit, um auf steigende Corona-Neuinfektionen zu reagieren, sagte Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion. Es brauche aber bundesweit einheitliche Regelungen dafür, um für Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen.
Thorsten Frei im Gespräch mit Silvia Engels
Weltweit steigen die Corona-Infektionszahlen weiter deutlich an. In Deutschland laufen Überlegungen, wie man sich auf neue lokale Ausbrüche und eine mögliche zweite Welle nach den Sommerferien vorbereitet. Dazu wurde am Dienstag eine Idee aus den Beratungen zwischen Kanzleramtsminister Helge Braun und den Staatskanzleichefs der Länder bekannt. Im Gespräch sind demnach lokale Ausreiseverbote aus Kommunen, wenn dort das Virus gehäuft auftritt. Thorsten Frei ist stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion, dort mit dem Fachbereich Inneres betraut.
Silvia Engels: Sind Sie für regionale Ausreisebeschränkungen, wenn die Corona-Neuinfektionen rasant steigen?
Thorsten Frei: Ich glaube, dass das ein sehr guter Vorschlag ist. Und bei all dieser Beurteilung muss man sich ja immer auch vor Augen führen, was die Alternative wäre. Ich glaube, wir sollten alles tun, dass wir einen nationalen Lockdown verhindern, dass wir, wenn wir nach den Sommerferien oder im Herbst mit neuen und steigenden Infektionszahlen konfrontiert wären in Deutschland, dazu auch die passenden Antworten hätten. Deswegen ist es richtig, jetzt auch die Sommerzeit zu nutzen, sich genau darüber Gedanken zu machen. Denn wir haben in der Vergangenheit auch gesehen: Wenn es gelingt, einheitlich und geschlossen vorzugehen und den lokalen Behörden auch entsprechende Handreichungen zur Verfügung zu stellen, dann steigt die Akzeptanz in der Bevölkerung, und das ist maßgebliche Voraussetzung dafür, dass solche Maßnahmen auch erfolgreich sein können.
Engels: Aber wie sollte das konkret aussehen? Ausreise nur mit negativem Corona-Test? Wie viele Tage sollte das wirken? Ab wieviel Infektionen greift es? Da ist ja noch eine ganze Latte von Fragen überhaupt für die Schwellenbenennung, nenne ich es mal, ungeklärt.
Frei: Ja, da haben Sie absolut recht. Wir haben ja eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, dass Maßnahmen ergriffen werden sollen, wenn in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner kommen. Und wir haben in den letzten Tagen und Wochen eine ganze Reihe von Entscheidungen auch des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt – Sie haben es in Ihrem Beitrag gebracht – vom Oberverwaltungsgericht Münster am 6. Juli zum Lockdown im Landkreis Gütersloh, die im Grunde genommen auch die rechtlichen Leitplanken deutlich machen und darauf hinweisen, dass neben der Erforderlichkeit es vor allen Dingen darauf ankommt, dass die Maßnahmen verhältnismäßig sind. Deswegen wird es natürlich auch schwierig sein, in der Trockenübung exakte Vorgaben zu machen, weil man dann in der Situation immer überprüfen muss, ob die damit verbundenen auch Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sind. Das bedeutet im Klartext, dass, sobald sie es nicht mehr sind, sie auch wieder aufgehoben werden müssen. Ich glaube, da ist es wichtig, dass wir nicht im Einzelfall von Gerichten getrieben werden, sondern dass das die jeweils zuständige politische Ebene dann auch von sich aus entscheidet.
„Wichtig, einheitliche Kriterien zu organisieren“
Engels: Da gibt es durchaus schon Absetzbewegungen. Ihr Parteifreund, Ministerpräsident Haseloff aus Sachsen-Anhalt, argumentiert nämlich genauso. Er sieht dringenden Gesprächsbedarf, warnt vor einer zu weiten Einschränkung der Grundrechte, genau die Gefahren, die Sie gerade auch skizziert haben. Sorgt das nicht wieder dafür, dass am Ende die Länder doch wieder nur einzeln entscheiden werden, je nach Infektionslage, ob sie das überhaupt als Maßnahme im Land zulassen wollen?
Frei: Die Gefahr dafür, die sehe ich natürlich sehr wohl, auch weil einzelne Länder auch unmittelbar nach Verabredungen von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten dann doch wieder ihren eigenen Weg gegangen sind. Ich will gar nicht die Kompetenzen der Länder in diesem Bereich bestreiten, aber es ist genauso unbestritten, dass es für die Akzeptanz in der Bevölkerung auch ganz entscheidend ist, dass man das Gefühl hat, dass da nach einheitlichen Grundkriterien agiert wird und dass es nicht auch zu Situationen kommt, in denen sich Menschen aus bestimmten Stadt- und Landkreisen letztlich diskriminiert fühlen. Deswegen, glaube ich, ist es einfach wichtig, dass wir es schaffen, solche einheitlichen Kriterien zu organisieren, und wir können das ja auch tun vor dem Hintergrund, dass die Zahlen in Deutschland aktuell nicht dramatisch sind. Wir haben derzeit etwa 5000 aktive Infektionsfälle in Deutschland. Das ist im Grunde genommen eine sehr gute Zahl, wenn man sieht, dass die hauptsächlich in bestimmten Hotspots und speziellen Regionen auftauchen. Vor diesem Hintergrund sollten wir die Zeit wirklich nutzen, um zu überlegen, wie Maßnahmen, die im Falle von Neuinfektionen zu ergreifen sind, möglichst geringe Auswirkungen auf das gesellschaftliche, das soziale, aber auch das wirtschaftliche Leben in Deutschland haben.
Engels: Dann kommen wir auf ganz praktische Probleme zu sprechen. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Landsberg, und andere haben ja deutlich gemacht, er würde es bei großen Kreisgebieten, wie wir sie ja in Deutschland haben, für fast unmöglich halten, hier kontrollieren zu lassen, wer überhaupt ausreist. Wird das nicht ohnehin das Kernproblem sein, die mangelnde Kontrollmöglichkeit?
Frei: Das ist auf jeden Fall ein praktisches Problem. Wichtig wäre jetzt nur, vom Gemeindetag zu erfahren, was denn eine gute Alternative wäre. Wir haben das ja im Frühjahr erlebt, als wir teilweise nationale Grenzen geschlossen haben. Auch das hat vereinzelt zu Protesten geführt. Es war mitunter auch schwierig zu realisieren. Noch sehr viel schwieriger sind natürlich Landkreisgrenzen oder auch kommunale Grenzen zu überwachen, weil es dort natürlich überhaupt keine entsprechenden Schutzvorkehrungen gibt. Das Argument sehe ich wohl und trotzdem, glaube ich, ist es richtig, wenn man schon zu Lockdown-Maßnahmen kommt, zu Ausgangssperren, die notwendig werden könnten, dass sie dann sehr stark regional und kommunal eingegrenzt werden. Das muss natürlich auch überhaupt nicht ein ganzer Landkreis sein, dieses Argument verstehe ich auch, sondern das kann auch begrenzt sein auf einzelne Kommunen, denn wir werden immer mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konfrontiert sein. Und deswegen – das hat ja das OVG Münster ziemlich deutlich gesagt – wären Maßnahmen für Menschen, die überhaupt keinen Bezug zum Infektionsausbruch haben, auch unverhältnismäßig beeinträchtigend, wenn sie von solchen Maßnahmen umfasst wären.
„Klüger, solche wirklich sehr lokal begrenzten Lockdowns zu wählen“
Engels: Ziemlich weitgehende Einschränkungen, die fast in diese Richtung gingen, Ausreisesperren, die haben wir ja ganz zu Anfang der Pandemie hier in Deutschland gesehen – Stichwort Heinsberg in Nordrhein-Westfalen oder im bayerischen Landkreis Tirschenreuth. Mittlerweile ist aber die Müdigkeit in der Bevölkerung, sich an strenge Corona-Einschränkungen zu halten, ja deutlich gewachsen. Lässt sich so etwas in der jetzigen Phase gar nicht mehr umsetzen, wie es damals ging?
Frei: Ja, wir haben solche Beispiele, und nicht nur Tirschenreuth und Nordrhein-Westfalen sind dafür Beispiele, sondern wir hatten teilweise auch kleine Dörfer, für die es spezifische Ausgangssperren gab. Ich finde, es ist jedenfalls klüger, solche wirklich sehr lokal begrenzten Lockdowns zu wählen, als dass man eine deutlich größere Anzahl von Menschen in diese Beeinträchtigungen mit einbeziehen müsste. Deswegen, glaube ich, ist es sachgerecht, vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund, dass es die Chance eröffnet, dass man in allen anderen Teilen des Landes das gesellschaftliche Leben, das wirtschaftliche Leben, das Schulleben unvermindert fortsetzen kann. Deswegen, glaube ich, muss man bei allen Bedenken, die auch berechtigter Weise vorgebracht werden, immer überlegen, was denn eigentlich die Alternative ist. Und solange wir nicht über Medikamente und über die notwendigen Impfmittel verfügen, solange wird es keine vollständige Normalität in Deutschland geben und solange werden wir uns Gedanken machen müssen, wie wir uns mit gegebenenfalls Infektionshäufigkeiten in bestimmten Regionen auseinandersetzen.
Engels: Wenn man Ihnen zuhört, Herr Frei, und dieses ja auch sehr am konkreten Gestalten überlegende hört, dann ist fast die Überlegung naheliegend, dass Sie an eine rasant steigende zweite Infektionswelle glauben? Denn sonst bräuchte man ja nicht solche konkreten Überlegungen jetzt schon anzustellen.
Frei: Ich hoffe, dass wir es vermeiden können. Aber ich glaube, es wäre auch fahrlässig, jetzt nicht notwendige Handlungsalternativen aufzuzeigen. Wenn wir uns aktuelle Urlaubsfotos nicht nur von Mallorca, sondern auch vom einen oder anderen Nord- und Ostseestrand in Deutschland angucken, dann kann man schon sehen, dass es – Sie haben es vorhin selbst beschrieben – eine gewisse Müdigkeit hinsichtlich der Vorsichtsmaßnahmen gibt. Deswegen: Ich hoffe, dass eine zweite infektionswelle vermieden werden kann. Aber wenn ich mir diese Bilder teilweise anschaue, dann, glaube ich, kann man es zumindest nicht komplett ausschließen. Wenn der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn darauf hinweist, dass wir verhindern müssen, dass Mallorca zum zweiten Ischgl wird, dann trifft das den Nagel, glaube ich, ziemlich gut auf den Kopf.
Ich bin ja Baden-Württemberger und ich kann Ihnen sagen, nicht nur in meinem Wahlkreis, sondern in der ganzen Region waren im Grunde genommen alle Infektionen auf Skiausfahrten in Ischgl bezogen und zurückzuführen. Deswegen kann man, glaube ich, solche Superspreader-Ereignisse nicht gefährlich genug einschätzen, und es ist die Aufgabe von Politik, da Vorsorge zu treffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.