Bundestag beschließt drittes Bevölkerungsschutzgesetz

Rede im Bundestag Thorsten Frei (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, im Großen und Ganzen war das eine sehr gute Debatte, die letztlich auch gezeigt hat, dass das alles nicht so ganz einfach ist – weder die Situation, in der wir sind, noch die Frage, wie wir damit umgehen. Und es ist auch nicht so einfach, die Gratwanderung zu schaffen: auf der einen Seite als Parlament sehr konkret zu sagen, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen und innerhalb welcher Grenzen die Bundesregierung und die Landesregierungen handeln dürfen und wo Flexibilität gegeben ist, und auf der anderen Seite zu sagen, wie es gelingt, zum Schutze der körperlichen Unversehrtheit, zum Schutze der Menschen und vor allem zum Schutze der älteren, schwächeren und kranken Menschen das Notwendige zu tun. Diese Entscheidungen haben sich viele – ich glaube, auch in den Regierungsfraktionen, mit Sicherheit auch in der Fraktion der Grünen – nicht leicht gemacht. (Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!) Am Ende des Tages verhält es sich natürlich so: Das, worüber wir heute abstimmen, ist im Zweifel nie ganz das Gelbe vom Ei. Vielmehr verhält es sich so, wie es in einer Demokratie immer ist: Es ist die Kunst des Kompromisses. Und bei einem zustimmungspflichtigen Gesetz kommt es nicht nur darauf an, eine Mehrheit hier im Hause zu gewinnen, sondern nachher um 15 Uhr im Bundesrat auch die Länder davon zu überzeugen, dass es richtig und notwendig ist, was wir hier machen. Genau das haben wir getan. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zunächst den Vorwurf zurückweisen, dass wir nicht auf die Opposition zugegangen wären und das Gespräch gesucht hätten. Das war definitiv nicht der Fall. Es war vor allen Dingen so, dass wir in der vergangenen Woche viele Experten gehört haben. Wir haben auch in der Expertenanhörung miteinander gesprochen. Sie haben ja gesehen: Das, was heute auf dem Tisch des Hauses liegt, ist etwas anderes als das, was wir am Freitag vorletzter Woche hier ins Parlament eingebracht haben. Aus meiner Sicht ist es ein gutes Zeichen, dass das Parlament nicht nur stoisch an dem festhält, was eingebracht wurde, sondern dass es auch in der Lage ist, daran zu arbeiten, es zu verbessern und zu schauen: Wo gibt es kluge Hinweise von Experten, wo gibt es auch kluge Hinweise aus der Opposition, die wir aufnehmen können, um das Gesetz am Ende besser zu machen? Genau das ist gelungen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Grenzen, innerhalb derer die Landesregierungen tätig werden können, in diesem Gesetz sehr klar geregelt. Wir haben Regelbeispiele benannt und keine Standardmaßnahmen, damit die Flexibilität für die Landesregierungen erhalten bleibt, in dieser Krise angemessen reagieren zu können; darum geht es. Und wir haben klar festgelegt: Was sind die Schwellenwerte, nach denen eingegriffen werden darf, nach denen Schutzmaßnahmen ergriffen werden dürfen? Ich glaube, es ist der richtige Ansatz, dabei auf Inzidenzen zu setzen, weil diese ein Frühindikator sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn man nur auf die Auslastung der Intensivbetten achtet, dann kann es zu spät sein, um angemessen reagieren zu können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Frei, es gibt zwei Wünsche, eine Zwischenfrage zu stellen. Thorsten Frei (CDU/CSU): Ja. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Bitte, Herr Kollege, Sie sind der Erste, dann folgt der Kollege Thomae, wenn ich richtig informiert bin. Erst kommt der Kollege von der AfD. Bitte sehr. (Jan Korte (DIE LINKE): Warum nimmt man den überhaupt ran? Das ist ein Fehler! Nur Content für den YouTube-Kanal!) Markus Frohnmaier (AfD): Vielen Dank, Herr Kollege Frei, dass Sie die Gelegenheit geben – das ist sehr parlamentarisch -, eine Zwischenfrage zu stellen; die Kollegen davor haben das leider nicht zugelassen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten Einschränkungen erfahren, in Bezug auf die Freiheit der Person, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch!) bei der Versammlungsfreiheit, bei der Freizügigkeit und eben auch in Bezug auf die Unverletzlichkeit der Wohnung. (Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Ja, bei Ihnen wäre das richtig! Wer weiß, was man da so alles findet!) Das sind Dinge, die hier in diesem Kontext diskutiert worden sind. Machen Sie sich doch heute bitte ehrlich: Der Grund für dieses Gesetz ist doch eigentlich, dass – Stück für Stück – bundesweit ein Gericht nach dem anderen die Maßnahmen, die Sie getroffen haben, als verfassungswidrig eingestuft hat. Das ist doch der eigentliche Grund, warum wir hier heute zusammenkommen und darüber diskutieren. (Beifall bei der AfD) Jetzt schaffen Sie die Grundlage dafür, dass die Gerichte uns zukünftig nicht weiter vor dieser Politik schützen können. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Frei. (Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Russland schützt Sie gar kein Gericht! – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Markus Frohnmaier (AfD)) – Herr Kollege, Sie müssen jetzt zuhören. Der Kollege Frei antwortet Ihnen. Thorsten Frei (CDU/CSU): Ich will Ihre Frage gerne beantworten. Wenn Sie sich einmal die Gerichtsurteile der vergangenen Wochen ansehen, dann sehen Sie, dass einzelne Verwaltungsgerichte beispielsweise auf Basis des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu einem anderen Ergebnis gekommen sind und deswegen einzelne Regelungen in einzelnen Ländern aufgehoben haben. Es ist übrigens ganz interessant, dass vor anderen Verwaltungsgerichten die Rechtsverordnungen anderer Länder unter dem gleichen Gesichtspunkt gehalten haben. Da kann man sehen: Es kommt eben im Einzelnen auch darauf an, wie eine Rechtsverordnung formuliert ist. Der zweite Punkt ist: Die Regelungen, die die Bundesregierung und die Landesregierungen bisher getroffen haben – sie betreffen die §§ 28 und 32 des Infektionsschutzgesetzes -, sind auf der Grundlage einer Generalklausel in Kraft getreten. Schauen wir uns einmal das Bayerische Verwaltungsgericht, das letzte Obergericht, das dazu geurteilt hat, an. Es hat gesagt, dass die Generalklausel grundsätzlich eine Möglichkeit für solche Maßnahmen ist, aber dass wir unter dem Gesichtspunkt, dass diese Pandemie und die Krise seit acht Monaten andauern und wir in der Tat – Sie haben sie beschrieben – sehr tiefe Grundrechtsbeschränkungen haben, für die Zukunft eine konkreter gefasste, eine bestimmtere Rechtsgrundlage brauchen. Diese schaffen wir mit dem § 28 a und im Übrigen auch mit § 5 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz, wo wir eine Legaldefinition der epidemischen Lage nationaler Tragweite vornehmen. Wir müssen für die Vergangenheit nichts rechtfertigen. Wir schaffen Grundlagen für die Zukunft, weil wir wollen, dass sowohl die Bundesregierung wie auch die Landesregierungen auch in Zukunft in der Lage sind, angemessen auf die Pandemie zu reagieren, und zwar weil Sie es nicht wissen, weil ich es nicht weiß und weil auch sonst niemand weiß, wie sich diese Krise weiterentwickelt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Danke sehr. – Jetzt kommt die Zwischenfrage des Kollegen Thomae. Stephan Thomae (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege Frei, für die Zulassung der Zwischenfrage. Sie sagten soeben, dass man mit Gesprächsangeboten auf die Opposition zugegangen sei. Ich will keinesfalls den Vorwurf im Raum stehen lassen, dass wir auf Gesprächsangebote nicht eingehen würden. Wir hatten in der Tat am Wochenende telefoniert – ich schlage nämlich nie ein Gespräch mit Ihnen aus, Herr Kollege Frei -, aber da ging es zunächst einmal um andere Themen: Graue Wölfe und dergleichen mehr. Es ging dann auch um den § 28a Infektionsschutzgesetz. Sie kündigten mir in der Tat an, dass die Koalition aus dem für sie verheerenden Ergebnis der Sachverständigenanhörung am Donnerstag Konsequenzen ziehen würde. Ein Verhandlungsangebot habe ich unserem Gespräch aber nicht entnehmen können. Was sollte denn das für ein Verhandlungsangebot gewesen sein, Herr Kollege Frei? Welchen Grund sollte das gehabt haben? Ist sich etwa die Koalition der Stimmen ihrer eigenen Fraktionsangehörigen so unsicher, dass sie die Stimmen der Opposition noch für sich erwerben will? (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der CDU/CSU – Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Na ja!) Thorsten Frei (CDU/CSU): Lieber Herr Thomae, es ist richtig, dass wir am Wochenende und auch Ende letzter Woche mehrfach miteinander telefoniert und über unterschiedliche Themen gesprochen haben. (Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Keine Details, bitte!) Mir geht es ähnlich wie Ihnen, ich genieße die Gespräche mit Ihnen; deswegen würde ich diese umgekehrt auch nie ausschlagen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber Sie haben natürlich Recht: Es gibt einen Unterschied zwischen Verhandlungen und Gesprächen; Frau Rottmann, wir hatten uns auch darüber unterhalten. (Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Da muss ich den Kolleginnen und Kollegen der FDP einfach Folgendes sagen: Um richtig über einen Text verhandeln zu können, muss man entweder einer Landesregierung angehören und es muss im Bundesrat um ein zustimmungspflichtiges Gesetz gehen, oder man muss eben hier auf Bundesebene mitregieren. Das hat die FDP bedauerlicherweise ausgeschlagen, und deswegen müssen wir das anders handhaben. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der FDP – Michael Theurer (FDP): Das ist kein Verhandlungsangebot!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen eines sagen: Wir sind auf vieles eingegangen – auf die Opposition, auf Experten und anderes mehr -, wir haben das Gesetz verbessert und bestimmter gemacht. Aber eines muss auch klar sein: Bei allen Rechten, die es zum Schutz von Minderheiten auch im Bundestag gibt – und zwar vom Anfang bis zum Ende -, ist es zu respektieren, wenn die Mehrheit das anders sieht. (Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): So ist es! – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)) Es ist gesagt worden: 84 Prozent der Deutschen sind entweder mit der Gesundheitspolitik der Bundesregierung zufrieden oder sie glauben, dass die Maßnahmen nicht einschneidend genug sind. (Zurufe der Abg. Beatrix von Storch (AfD) und des Abg. Christian Lindner (FDP)) Ich glaube, dass das hier in diesem Haus ziemlich ebenso ist. Deshalb müssen Sie es ertragen: Wir bringen hier heute einen Antrag ein, wir stimmen darüber ab. Wir stellen heute nochmals fest, dass die epidemische Lage nationaler Tragweite fortbesteht. Wir sagen deshalb ganz klar: Damit schaffen wir als Parlamentsmehrheit die Rechte für die Bundesregierung und die Landesregierungen, angemessen zu handeln. Ich möchte ganz zum Schluss nur eines sagen: An dieser Stelle kommt es nicht nur darauf an, juristische Seminare zu bestehen. An dieser Stelle kommt es auch darauf an, etwas zum Schutz der Menschen zu tun. Da geht es auch darum, dass man, auch wenn man nicht mit allem zu 100 Prozent einverstanden ist, bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung zu übernehmen, das hat auch etwas mit Führung in unserem Land zu tun. Das ist nicht nur die Aufgabe der Bundesregierung; da sind wir alle gefordert. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)