Die EU-Beitrittsperspektive Albaniens war in dieser Woche Gegenstand einer Podiumsdiskussion mit Politikern und zivile Experten, zu der die Südosteuropa-Gesellschaft und die Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages der Europa-Union Deutschlands in den Bundestag eingeladen haben. Neben Thorsten Frei waren unter anderem die Botschafterin der Europäischen Union in Albanien, Romana Vlahutin, und Staatsminister Michael Roth präsent. Moderiert wurde die gut besuchte Veranstaltung vom renommierten FAZ-Journalisten Michael Martens, der sich seit gut 20 Jahren mit den Entwicklungen in dem kleinen Adria-Anrainer befasst.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Frage, ob im Juni 2018 EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien aufgenommen werden sollten, so wie es die EU-Kommission Anfang April mit der Veröffentlichung des Fortschrittsberichts für Albanien vorgeschlagen hat. „Die Empfehlung der Aufnahme von Verhandlungen darf nicht als Beschluss dieser verstanden werden. Zuerst müssen alle Mitgliedstaaten einstimmig für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stimmen. In Deutschland bedarf es dazu der Befassung durch den Deutschen Bundestag, der seine Empfehlung für oder wider die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gegenüber der Bundesregierung ausspricht“, stellte Frei in seinem Eingangsstatement noch einmal klar. Darüber hinaus verdeutlichte er auch noch einmal, „dass der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen kein Automatismus für den Beitritt folgt. Vielmehr sind sie eine große Chance, um die bisherigen Reform- und Annäherungsprozesse mit einer neuen Dynamik auszustatten. Aber erst, wenn alle Rechtsstaats- und sonstigen Kriterien erfüllt sind, kann ein Beitritt erfolgen“, so Frei weiter.
Frei, der zuletzt im Februar dieses Jahres in die Hauptstadt Albaniens reiste, um dort mit Vertretern von Politik und Zivilgesellschaft ausführliche Gespräche zu führen, hat ein ausgewogenes und zugleich gefestigtes Bild des jüngsten EU-Beitrittskandidaten gewonnen. „Albanien hat in den vergangenen Jahre große Fortschritte gemacht. Viele wichtige Dinge sind auf den Weg gebracht worden. Beispielslos ist die intensive Justizreform in Form der Vetting-Prozesse, die eine Überprüfung aller Richter und Staatsanwälte – und neuerdings auch aller Polizisten – in Albanien nach sich zieht.
Klar ist aber auch, dass Rechtstaatlichkeit ein unverhandelbarer Grundpfeiler der Europäischen Union, genau wie die Bekämpfung von Korruption und der organisierten Kriminalität unverzichtbare Voraussetzungen für die Aufnahme in die EU seien. „Wenn bei 800 zu überprüfenden Richtern und Staatsanwälten nur eine Hand voll Verfahren abgeschlossen sind, dann ist das ein Anfang, aber noch zu wenig, um tatsächlich etwas über die vollständige Implementierung rechtsstaatlicher Prozesse sagen zu können.“
Im Gegensatz dazu stehe die Verweigerung des albanischen Parlaments, die parlamentarische Immunität des inzwischen unter Hausarrest stehenden ehemaligen Innenministers, Saimir Tahiri, aufzuheben. „In einem Rechtsstaat darf es für prominente Namen keine Ausnahmen geben. Die besondere Behandlung Tahiris ist ein Beispiel dafür, dass noch ein weiter Weg in Albanien zu gehen ist“, betonte Frei in seinem Statement.
Thorsten Frei ist überzeugt, dass es auf der Grundlage von bereits gemachten Fortschritten und im Angesicht von Voraussetzungen, die noch nicht den gewünschten Erfüllungsstand aufweisen, eine Beitrittsperspektive geben sollte, die aber an ganz konkrete Voraussetzungen geknüpft sein solle. „Europa und Deutschland haben ein Interesse daran, dass es für Albanien, und für die anderen Länder des westlichen Balkans eine Beitrittsperspektive in die EU gibt. Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist ein Anspruch gerechtfertigt“. Neben der Justizreform gehört für mich eine Wahlrechtsreform, die den Empfehlungen der OSZE und der Venedig-Kommission entspricht, zu diesen unumgänglichen Voraussetzungen.