Anreize für unerlaubte Weiterwanderung bleiben

Union kritisiert Plan für EU-Asylsystem
Thorsten Frei im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ zu den vor einer Woche von Ursula von der Leyens EU-Kommission vorgelegten  Vorschlag für ein neues EU-Asylsystem. Mit Marcel Leubecher spricht Thorsten Frei, der für Migration zuständige Fraktionsvize der Union im Bundestag, über die Erfolgsaussichten dieses Großprojekts.
WELT: Herr Frei, lange wurde eine große Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems angekündigt. Jetzt hat die EU-Kommission ihre Pläne vorgelegt. Halten Sie den Vorschlag für zielführend?
THORSTEN FREI: Es ist gut, dass die Kommission endlich einen Vorschlag unterbreitet hat, so dass wir die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen können, um mit den anderen Mitgliedstaaten in Verhandlungen einzutreten. Inhaltlich enthält der Kommissionsvorschlag Licht und Schatten. Weil aus deutscher Perspektive sehr zentrale Elemente nicht enthalten sind, haben wir ein dickes Aufgabenheft für die Verhandlungen.
WELT: Was fehlt?
THORSTEN FREI: Nachbesserungsbedarf besteht vor allem im Hinblick auf die beiden Kernfragen: Wie können wir die Nicht-Schutzberechtigten direkt aus ihrem Ersteinreisestaat zurückführen, und wie verhindern wir die unerlaubte Migration innerhalb der EU nach Deutschland.
WELT: Angenommen, der Kommissionsplan würde in seiner aktuellen Fassung zum geltenden Asylrecht: Was geschähe dann mit einem Asylbewerber; für den Italien oder Frankreich zuständig ist, der aber unerlaubt nach Deutschland weiterreist, um hier einen neuen Antrag zu stellen?
THORSTEN FREI: Ich kann in dem Vorschlag der EU-Kommission bislang keine umfassend überzeugende Antwort auf die Herausforderungen der Sekundärmigration erkennen. Notwendig wäre eine ewige Zuständigkeit der Staaten für die ihnen zugewiesenen Asylbewerber. Wer unerlaubt weiterwandert, bekäme dann weder das Recht auf ein weiteres Verfahren noch auf Sozialleistungen in seinem Zielstaat. Laut dem aktuellen Vorschlag der Kommission wird zwar nachdrücklich betont, dass die Weiterreise illegal ist, aber die Anreize für eine unerlaubte Weiterwanderung bleiben bestehen. Denn der Zielstaat soll letztlich doch Sozialleistungen gewähren und wird nach Ablauf einer bestimmten Frist für das Asylverfahren zuständig.
WELT: Kann mit dem vorliegenden EU-Plan das Ziel erreicht werden, Nicht-Schutzberechtigte von den Zentren in den Außengrenzen wieder in der Regel in die Transit- oder Herkunftsstaaten abzuschieben?
THORSTEN FREI: Ich sehe, das mit Skepsis. Zumindest kann man der Kommission nicht vorwerfen, dass sie zu wenig über eine Steigerung der Rückführungsquoten nachdenkt. Sie will Rückührungspatenschaften, mit denen aufnahmeunwillige Länder die besonders belasteten Staaten bei der Rückführung unterstützen sollen, auch will sie bessere Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsstaaten. Es werden aber schnelle Verfahren an den Außengrenzen angestrebt. Dass an den EU-Außengrenzen zunächst Identitätsfeststellungen einschließlich Sicherheits- und Gesundheitschecks stattfinden sollen, ist sinnvoll. Auch dass es ein Schnellverfahren für alle Asylbewerber aus Ländern mit geringer Anerkennungschance geben soll, ist der richtige Ansatz und im Übrigen eine deutsche Idee. Die Kommission setzt allerdings diesen Verfahren samt gerichtlicher Überprüfung eine Zwölf-Wochen-Frist. In Griechenland sind solche Fristen bislang eine Illusion. Die Verfahren und der Rechtsschutz ziehen sich größtenteils über Jahre hin. Das gilt auch für andere Staaten. Selbst in Deutschland dauert ein Asylgerichtsverfahren im Durchschnitt weit über ein Jahr. Es steht dementsprechend zu befürchten, dass ein großer Teil von Antragstellern nach Fristablauf in ein reguläres Asylverfahren überführt und spätestens dann die Möglichkeit zur EU-weiten Binnenmigration eröffnet wird.
WELT: Was wäre das Minimum, das mit der Reform erreicht werden muss?
THORSTEN FREI: Entscheidend ist für alle 27 EU-Staaten, dass wir den europäischen Außengrenzschutz deutlich verbessern, den Großteil der Verfahren mit verlässlichen Garantien an den Außengrenzen abwickeln und die Nicht-Schutzberechtigten direkt von dort zurückführen. Wenn wir uns den Kommissionsvorschlag anschauen, dann sehen wir, dass das alte Dublin-System im Grunde nur fortentwickelt werden soll. Das heißt: Alte Probleme bleiben bestehen, vor allem die kaum funktionierenden Rücküberstellungen. Es gibt sogar Punkte, die sich für Deutschland als Verschlechterung herausstellen dürften. So soll bei der Verteilung der an den Außengrenzen ankommenden Asylbewerber auf die Mitgliedstaaten ein erweiterter Familienbegriff gelten.
WELT: Das heißt?
THORSTEN FREI: Bisher werden nur Ehepartner und minderjährige Kinder zusammengeführt, laut dem EU-Plan würde Deutschland künftig auch für einen Asylbewerber zuständig, wenn dieser volljährige Geschwister in der Bundesrepublik hat. Weil Deutschland in den letzten Jahren 815.000 Schutztitel vergeben hat, viel mehr als jeder andere Staat, würde der von der Kommission geplante erweiterte Familienbegriff vor allem uns stärker belasten.
WELT: Besteht eine Chance, die Reformpläne der EU-Kommission noch deutlich zu verändern?
THORSTEN FREI: Wir werden konstruktiv an dem Kornmissionsentwurf arbeiten, weil eine europäische Lösung unglaublich wichtig wäre, um der Migrationsherausforderung begegnen zu können. Wenn man sich die mehr als 300 Seiten des Kornmissionsvorschlags anschaut, ist schon erkennbar, dass auf vielfältige Bedürfnisse eingegangen wird. So wird die migrationskritische Haltung der Osteuropäer berücksichtigt, indem sie zunächst von der Umverteilung ausgenommen werden, falls sie erfolgreich andere Staaten bei der Rückführung unterstützen. Auch werden die Wünsche der Erstankunftsstaaten ernst genommen, indem mehr Asylbewerber von dort verteilt werden sollen. Aber die spezifischen Interessen Deutschlands, das in den vergangenen Jahren 41 Prozent sämtlicher Asylbewerber in der EU aufgenommen hat, sind noch nicht hinreichend berücksichtigt.
WELT: Ist das Interesse an einer gemeinsamen europäischen Politik nicht wichtiger?
THORSTEN FREI:Wir haben immer deutlich gemacht, dass uns eine europäische Lösung am Herzen liegt. Aber eine europäische Lösung ist kein Selbstzweck, sondern nur dann gut, wenn sie zu einer Verbesserung der Situation führt. Deswegen werden wir hart verhandeln, um wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Sekundärmigration zu erreichen und verlässliche Garantien für effiziente Verfahren an den Außengrenzen zu erlangen.
WELT: Der Kommissionsvorschlag ist noch nicht der Durchbruch, der uns in der europäischen Asylpolitik wirklich vorwärts bringt. Was müsste das neue Asylsystem leisten?
THORSTEN FREI: Am Ziel sind wir erst, wenn die unerlaubte Migration in die EU dauerhaft reduziert ist, die illegale Weiterwanderung innerhalb Europas gestoppt wurde, Nicht-Schutzbedürtige zurückgeführt und Flüchtlinge halbwegs gerecht auf möglichst viele Mitgliedstaaten verteilt werden.
WELT: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, er hoffe bis Dezember auf eine politische Einigung der meisten Mitgliedstaaten auf die wichtigsten Elemente und dann darauf, dass im ersten Halbjahr 2021 erste Rechtsakte auf EU-Ebene beschlossen werden. Teilen Sie die Hoffnung?
THORSTEN FREI: Wir werden mit ganzer Kraft für dieses Ziel arbeiten. Möglicherweise kann die gewaltige Herausforderung gemeistert werden, wenn wir schrittweise vorgehen und zunächst die Frage des Außengrenzschutzes samt Grenzverfahren und Rückführungen geklärt wird. Falls diese Aufgabe verlässlich gelöst würde, wären auch die Probleme der Verteilung und der Sekundärmigration leichter zu bewältigen.
WELT: Ist der Kommissionsplan in seiner aktuellen Form für die Unionsfraktion zustimmungsfähig?
THORSTEN FREI: Wir bringen unsere Positionen vor und versuchen, sie im Verfahren durchzusetzen. Am Ende ist immer nur etwas zustimmungsfähig, was den Status Quo verbessert – und bis dahin ist es noch ein gutes Stück Arbeit.

+++ ,,SWR1 Leute" - Spitzenkandidaten im Gespräch: Thorsten Frei live im SWR 1-Radio, am Mittwoch, 19. Februar, von 10 bis 12 Uhr +++ Jugend diskutiert, Mittwoch, 19. Februar, 17.30 Uhr, Kulturfabrik Niedereschach +++ CDU-Abend mit Thorsten Frei in Niedereschach, Mittwoch, 19. Februar, 19 Uhr, Café Bantle +++ Diskussion mit dem Wirtschaftsrat VS, DS, Hochrhein in Furtwangen, Donnerstag, 20. Februar, 18 Uhr Oskar Ketterer Druckgießerei, Werk 2

+++ Wochenmärkte (je 90 Minuten):  Freitag, 21. Feb., 8.30 Uhr:  Donaueschingen / 10.30: Bad Dürrheim / Samstag, 22. Feb., 9.30 Uhr: Schwenningen / 11 Uhr: Villingen (Innenstadt) +++