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„Wir wollen mehr Verantwortung übernehmen!“

Anlässlich seines dienstlichen Besuches in New York hielt Thorsten Frei als Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Unterausschuss Zivile Krisenprävention einen Vortrag zum Thema „Deutschlands Ansätze bei ziviler Krisenprävention und der Marshallplan mit Afrika“. Die Veranstaltung fand am 6. Juni 2017 in Zusammenarbeit mit dem American Council on Germany (ACG) im New Yorker Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung statt.

 

Deutschlands Ansätze bei ziviler Krisenprävention und der Marshallplan mit Afrika

 

Seit der Amtseinführung von Präsident Donald Trump gab es kaum einen Tag, an dem Gesellschaft und Politik in Amerika nicht aufgehorcht hätten, überrascht oder verwundert wurden. Von Deutschland und Europa aus können wir das mit relativer Nüchternheit betrachten. Es geht doch hauptsächlich um Innenpolitik. Ich denke beispielsweise an die Entlassung des nationalen Sicherheitsberaters, die Abschaffung von Obama-Care oder den „Muslim-Bann“.

Die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehungen 

Dennoch ist klar, dass Deutschland und die USA als jeweils wichtigste Akteure auf ihrem Kontinent ein großes Interesse an einer intakten transatlantischen Partnerschaft haben. Auf dieses Bündnis kommt es in Zukunft mehr denn je an. Wir teilen dieselben Werte von Freiheit und Demokratie, die anderswo auf Ablehnung oder zumindest Skepsis stoßen. Eine Rolle spielen auch das schnelle demografische und wirtschaftliche Wachstum in Asien oder auch Afrika.

Ganz zentral für unsere Freundschaft als Brücke über den Atlantik ist die NATO als Werte und Verteidigungsbündnis. Wir alle waren froh, dass Präsident Trump seine Einschätzung geändert hat, dass die NATO obsolet sein könnte. Das ist sie keineswegs. Das zeigen die permanenten Spannungen mit Russland, die großen Gefahren durch Terroristen, die nuklearen Gefahren durch Nordkorea oder auch die Bedrohung aus dem Cyberraum. Diesbezüglich profitieren wir alle von der NATO.

Aus deutscher Sicht verdanken wir es der NATO und allen voran den USA, dass unser durch Krieg geprägter Kontinent die längste Friedenzeit der neueren Geschichte erleben konnte und Deutschland als geachtetes Mitglied in die internationale Staatengemeinschaft zurückkehren konnte. Dafür sind wir sehr dankbar.

Auch wenn es im Selbstverständnis der USA liegt, die führende Weltmacht zu sein, was sich auch an einem Verteidigungsetat von mehr als 600 Mrd. Dollar zeigt, ist klar, dass nicht ihr Land allein die Sicherheitsverantwortung übernehmen kann. Deshalb ist die Forderung von Präsident Trump nach einer fairen Lastenteilung berechtigt. Insbesondere Deutschland muss mehr für die Sicherheit in der Welt und innerhalb der NATO beitragen.

Wir wollen mehr Verantwortung übernehmen

 

Deutschland kann und wird mehr Verantwortung übernehmen. Das haben der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der damalige Außenminister und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereits bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 sehr deutlich gesagt. Das unterstreicht derzeit auch die Bundeskanzlerin. Wir stehen zum Zwei-Prozent-Ziel.

 

Klar ist aber auch, dass wir nicht in Konkurrenz mit den USA treten können oder wollen. Die USA sind und bleiben die bestimmende Kraft in der NATO, ohne die es in vielen Fällen nicht geht. Zuvorderst bei der nuklearen Abschreckung.

 

Auch wenn die Mehrheit der Deutschen eine stärkere Bundeswehr und ein stärkeres militärisches Engagement kritisch sieht, so hat bei uns in der CDU ein deutliches Umdenken stattgefunden. Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Diese Erkenntnis haben die vielen Krisen um Europa herum gebracht. Die Friedensdividende der vergangenen zwei Jahrzehnte ist heute aufgebraucht.

 

Deshalb haben wir die Verteidigungsausgaben im Vergleich zum letzten Jahr um mehr als 2,7 Mrd. Euro auf über 37 Mrd. Euro gesteigert. Die Verteidigungsministerin hat im letzten Jahr gesagt, dass sie in den kommenden 15 Jahren zusätzliche 130 Mrd. EUR in Waffen und Systeme stecken will. Erst kürzlich fiel der Beschluss zum Kauf von fünf Korvetten. Auch in anderen relevanten Feldern kommen wir voran. Vor wenigen Wochen wurde eine Cyber-Unit

aufgestellt. Dennoch stehen wir mit Verteidigungsausgaben von derzeit 1,2% des BIP noch am Anfang notwendiger Entwicklungen.

 

Das Erreichen des 2-%-Ziels wird aber nicht über Nacht gehen. Die Umstellung wird Zeit in Anspruch nehmen. Das von NATO-Generalsekretär ausgegeben Ziel 2024 erscheint realistisch.

 

Deutschland hat historisch bedingt ein umfassenderes Verständnis von internationaler Verantwortung

 

Bei uns gilt der Vorrang ziviler Mittel. Es ist zwar wichtig, die eigene Position mit Stärke glaubwürdig zu untermauern. Das zeigt das Verhältnis zu Russland. Dennoch gelten für uns der Vorrang diplomatischer Mittel, von Dialog und Kooperation im multilateralen Rahmen. Deshalb sind wir der drittgrößte Geldgeber bei den Vereinten Nationen.

 

Letztlich sehe ich diese Haltung nicht als Schwäche, sondern als Zeichen der Stärke. Gerade für die NATO ist es gut, dass es eine gewisse Komplementarität der Mitglieder gibt, die sich ergänzt. Das stärkt die Handlungsfähigkeit. Zum einen liegt das daran, dass Präsident Trump angekündigt hat, die eigenen Mittel für die UN und ihre Programme zu kürzen. Zum anderen ist aber auch klar, dass sich viele Probleme überhaupt nicht militärisch lösen lassen. Das sehen wir etwa in Syrien oder dem Jemen. Selbst wenn die offenen Kampfhandlungen beendet werden, braucht es für dauerhaften Frieden vor allem gesellschaftliche Versöhnung, staatliche Strukturen, wirtschaftliche Perspektiven mit ausreichend Jobs. Es braucht Bildung für die Jugend, ausreichende medizinische Versorgung. Die Menschen müssen eine Familie gründen und ernähren können. Alles Dinge, die bei uns in Deutschland und Amerika ganz selbstverständlich sind.

 

Diesem Ansatz folgend, hat die Bundesregierung einen Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln vorangetrieben. Institutionell wie konzeptionell. Finanziell haben sich die Mittel dafür seit 2004 mehr als verzehnfacht.

 

Auch wenn es derzeit noch Unstimmigkeiten zwischen den Ressorts gibt, haben sich die Bundesregierung und das Parlament im vergangenen Jahr intensiv mit der Fortentwicklung der Leitplanken für die zivile Krisenprävention befasst. Im Ergebnis wurden viele Leitlinien bestätigt und bestehende Defizite wurden klar benannt.

 

Für uns gilt, dass die Prävention klaren Vorrang hat. Fest steht aber auch, dass es nach einer Eskalation nötig sein kann, durch den Einsatz von Soldaten einen Völkermord oder politische Verwerfungen zu verhindern, die involvierten Parteien zu trennen und zunächst ein stabiles Umfeld zu schaffen. Die Erfahrung zeigt, dass der vernetzte Ansatz, also der Rückgriff auf diplomatische, zivilgesellschaftliche, entwicklungspolitische, polizeiliche und auch militärische Mittel, die beste Möglichkeit ist, um nachhaltigen Frieden zu schaffen. Vorrangiges Ziel ist für uns die Etablierung guter Regierungsführung, der Schutz der Menschenrechte, die Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien, eine gesicherte Wasser- und Nahrungsversorgung sowie ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem. Jede Investition in

vorsorgende Außen- und Entwicklungspolitik verhindert menschliches Leid ebenso wie potentiell höhere Folgekosten, die entstehen, wenn Krisen ausbrechen.

 

Um in diesem Bereich noch besser zu werden, wollen wir die Möglichkeiten zur Früherkennung von Krisen und Konflikten und für die Mediation bestehender Konflikte weiter ausbauen.

 

Bei allem innenpolitischen Druck müssen wir bei unseren Aktivitäten den politischen Rahmen für Konfliktbearbeitung langfristig anlegen. Das betrifft insbesondere die Unterstützung von Projekten zivilgesellschaftlicher Akteure. Das gilt für die Planbarkeit von Projekten und bedeutet eine Abkehr vom Prinzip der Jährlichkeit bei der Finanzierung.

 

Das bedeutet auch, dass wir die finanziellen Mittel im Bereich der Krisenprävention sowohl für staatliches Handeln als auch zur Unterstützung von Projekten der Zivilgesellschaft sowie für humanitäre Hilfe weiter erhöhen werden.

 

Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem wir uns stärker engagieren wollen, sind Versöhnungsprozesse. Diese sind unverzichtbar, um Gräben zwischen vormals verfeindeten gesellschaftlichen Gruppen zuzuschütten und für eine langfristige Beilegung von Konflikten zu sorgen.

 

In Deutschland müssen wir auch die Strukturen verbessern, um noch mehr Richter, Polizisten und zivile Spezialisten für UN-Missionen zu gewinnen.

 

Viel zu kurz gekommen ist bisher außerdem, dass unsere Maßnahmen der Krisenprävention nicht systematisch evaluiert wurden.

 

Außerdem krankt es in Deutschland an der mangelnden Abstimmung der Ressorts, die an der Krisenprävention beteiligt sind. Vielleicht wäre die Schaffung eines Bundessicherheitsrates, der nicht nur über Rüstungsexportentscheidungen berät, eine echte Alternative. Die USA sind hier beispielgebend.

 

Aber warum das alles? Warum engagieren wir uns so stark in diesem Bereich?

 

Die besondere Herausforderung Afrika

 

Nicht erst, aber spätestens mit der Migrationskrise der Jahre 2015 und 2016, die primär durch die Krisen in Syrien und Irak verursacht wurden, ist uns klar geworden, dass Europa nur begrenzt in der Lage ist, Flüchtlinge dauerhaft in größerem Maße aufzunehmen. Das liegt zum einen daran, dass dies mit enormen Kosten und organisatorischen Herausforderungen verbunden ist. Zumal derzeit noch kein tragfähiger und gerechter Verteilungsmechanismus in der EU gefunden wurde. Das liegt aber auch an der begrenzten gesellschaftlichen Bereitschaft für eine groß angelegte Aufnahme und Integration von Migranten. Die damit verbundenen Terrorgefahren haben die Akzeptanz weiter begrenzt.

 

Und das, obwohl selbst bei einer Beilegung der Konflikte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter mit der Zunahme von Migration zu rechnen ist. Das liegt an bekannten Tatsachen. Afrika ist der am schnellsten wachsenden Kontinent, obwohl Afrika schon heute nicht für die Ernährung seiner Einwohner sorgen kann. Jede Frau bekommt in Afrika im Schnitt sieben Kinder. Die Bevölkerung wird sich bis 2050 auf etwa 2 Mrd. Menschen verdoppeln. Dann ist sie 5mal so groß wie die EU. Elf der weltweit 20 Länder, deren Bevölkerung am stärksten wachsen, liegen in Afrika. 2035 ist in Afrika die Zahl junger Menschen, die eine Arbeit aufnehmen können, größer als im ganzen Rest der Welt ist. Dabei fehlt es schon heute an wirtschaftlichen Perspektiven. Obwohl jährlich etwa 50 Mrd. EUR als Entwicklungshilfe nach Afrika fließen, gibt es kaum Fortschritt. Somit bleibt oft nur die Migration nach Norden. Dadurch werden aber auch Unzufriedenheit, Terror und weitere Migration produziert.

 

Aufgrund der düsteren Aussichten wird erwartet, dass mindestens ein Viertel aller jungen Menschen über 15 Jahre das eigene Land verlassen will. Zwar werden nicht alle Migranten nach Europa kommen. Dennoch ist dauerhaft mit steigenden Zahlen zu rechnen.

 

Problematisch ist, dass die Migranten für erhebliche Geldflüsse nach Afrika sorgen. Deshalb haben die Regierungen kaum Interesse daran, die Migration zu unterbinden. Die Summe dieser Transfers beläuft sich nach Aussagen der Weltbank auf mehr als 36 Mrd. Dollar im Jahr. Nach Nigeria flossen 20,5 Mrd. Dollar, was 4 % des BIP entspricht. In den Senegal werden 1,6 Mrd. Dollar transferiert, was 11,6 % des BIP entspricht. Bei Mali machen die Geldrückflüsse etwa 7 % und in Gambia sogar 22%. In Nepal in Asien sind es sogar 30%.

 

Für viele Länder – insbesondere südlich der Sahara – spielen die Rücküberweisung eine weitaus größere Rolle als Direktinvestitionen und Entwicklungshilfe. Folglich muss man sich nicht wundern, dass der Staatschef Nigers kürzlich das Angebot der Kanzlerin ablehnte, Hilfen in Höhe von 77 Mio. EUR anzunehmen und vielmehr eine Milliardenforderung aufstellte.

 

Klar ist, dass wir nicht alle Menschen bei uns aufnehmen können und die Dimension des Problems kann nicht von Deutschland gelöst werden. Aber natürlich haben wir als übermäßig von Flüchtlingen betroffenes und am Export orientiertes Land ein eigenes großes Interesse an einer Verbesserung der Situation.

 

Der Marshallplan mit Afrika

 

Der Marshallplan mit Afrika ist als ein multithematischer Ansatz zu verstehen, der Afrika stärker als bisher als Partner behandelt und sich an der von der AU definierten Agenda 2063 und dem Aktionsplan zivile Krisenprävention orientiert. Darin wird betont, dass koloniales Denken überwunden werden muss.

 

Aber auch Afrika muss mehr leisten als bisher. Dazu sollen Afrikas gute Rohstoffvorkommen genutzt werden. Außerdem soll es eine stärkere Zusammenarbeit bei Bildung, Handel, Wirtschaftsentwicklung und Energieversorgung, aber auch Abbau von Handelshemmnissen sowie der Bekämpfung von illegalen Geldabflüssen und Steuerflucht geben. Allein durch Steuertricks der Konzerne werden jährlich 100 Mrd. EUR aus Afrika abgezogen. Ebenso sollten staatliche Strukturen und Zivilgesellschaften durch gute Regierungsführung und Bekämpfung von Korruption gestärkt werden.

 

Künftig sollen deshalb 20% der Entwicklungshilfe Deutschlands an Staaten gehen, die gute Reformen auf den Weg bringen. Hilfen sollen nicht mehr ohne Gegenleistung fließen. Wer nicht bereit ist, bei Rückführungen, nötigen Reformen oder Menschenrechte zu kooperieren, der muss dies auch zu spüren bekommen.

 

Da mit staatlicher Hilfe immer nur herausragende Projekte gefördert werden, will Deutschland deutlich mehr private Investitionen in Afrika fördern. Öffentliche Mittel sollen als Katalysator eine Hebelwirkung auslösen. Denkbar wären ausgedehnte Kreditgarantien deutscher Direktinvestitionen. Schließlich sind bisher nur etwa 1.000 der 400.000 im

Ausland tätigen deutschen Unternehmen wegen der unsicheren Rechtslage in Afrika tätig.

 

Außerdem soll die legale Migration ausgeweitet werden. Denken könnte man auch an einen ständigen Sitz Afrikas im UN-Sicherheitsrat, um der wachsenden Bevölkerung Rechnung zu tragen. Auch wenn diese Reform absehbar nicht durchsetzbar ist. Ebenso denkbar sind ein Afrika-Kommissar der EU sowie die Schaffung einer Mittelmeer-Union der südlichen Mittelmeeranrainer mit vollständigem Zugang zum EU-Binnenmarkt oder auch eine Freihandelszone zwischen EU und allen 54 Staaten Afrikas. Die Gespräche werden beim nächsten EU-Afrika-Gipfel in der Elfenbeinküste fortgesetzt.

 

Wir stehen sicherlich noch ganz am Anfang notwendiger Entwicklungen. Aber die weltweit zunehmende Krisen- und Armutsmigration hat uns gezeigt, wo ein extremer Handlungsdruck besteht. Womöglich werden wir nur langsame Fortschritte machen. Aber Klimaveränderungen, fehlende Nahrungsmittel und Wasser sowie gescheiterte Staaten werden den Druck auf die Industrieländer weiter steigern. Hier müssen wir ansetzen. Nicht mit Waffen, sondern mit zivilen Mitteln. Ohne Perspektiven in den Entwicklungsländern gibt es keine Perspektive für unseren westlichen Wohlstand.