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Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen entlastet Baden-Württemberg um eine Milliarde Euro pro Jahr

Heute hat der Bundestag mit insgesamt 13 Grundgesetzänderungen und der Anpassung unzähliger Begleitgesetze die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neugeordnet. Für Baden-Württemberg als eines von drei großen Netto-Zahlern ist der Kompromiss ein großer Erfolg. Da der Bund den Ländern künftig bis zu 9,5 Milliarden EUR pro Jahr zur Verfügung stellt, ist davon auszugehen, dass wir etwa 1 Milliarde EUR weniger nach Berlin überweisen müssen und für eigene Aufgaben mehr zur Verfügung haben. Das entspricht in etwa 89 EUR pro Bürger, auch wenn die finale Zahl von den tatsächlichen Steuereinnahmen abhängt.

Der mit der SPD und den Ländern gefundene vielschichtige Kompromiss bringt viele gute Verbesserung. Dennoch habe ich vor allem an einem Punkt „Bauchschmerzen“. Das betrifft die Änderung des Grundgesetzes und die Ausweitung der Mitfinanzierungskompetenz des Bundes bei der Bildung über den neuen Artikel 104 c GG. So sehr die angedachten Milliarden des Bundes für die IT-Ausstattung der Schulen eine gute Investition in die Bildung unserer Kinder sind, so sehr erachte ich die Übernahme von Länderaufgaben als falsch. Aus einer solchen Mitfinanzierungskompetenz des Bundes wird sehr bald die Erwartung einer Mitfinanzierungszuständigkeit, aus der heraus der Bund seitens der Länder mit immer weiteren Forderungen konfrontiert werden wird. Der Artikel 104 c GG ist ein typisches Beispiel von „gut gedacht ist nicht gut gemacht“. Darüber hinaus beschneiden sich die Länder bei den eigenen Kompetenzen, weshalb ich sehr verwundert bin, dass dieser Passus mitgetragen wurde.

Wegen des Gesamtpaketes und der Notwendigkeit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen habe ich den Grundgesetzänderungen zugestimmt. Allerdings habe ich bei der Abstimmung meine Zustimmung mit einer persönlichen schriftlichen Erklärung ergänzt.

 

Persönliche schriftliche Erklärung gemäß § 31 Abs. 1 GeschOBT von Thorsten Frei MdB zur Bundestagsabstimmung am 1. Juni 2017 zur zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g).

Die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist ein elementar wichtiges Vorhaben der laufenden Wahlperiode. Dabei ist es richtig und wichtig, das Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Wahlperiode abzuschließen, damit alle Beteiligten mit ausreichendem Vorlauf Planungssicherheit haben. Das großzügige finanzielle Engagement des Bundes ist für viele Kommunen eine große Hilfe, auch wenn Mischzuständigkeiten und Mischfinanzierungen zu keiner Klärung von Verantwortung führen, oft als „goldener Zügel“ wirken und die grundgesetzlich garantierte Kommunale Selbstverwaltung eher einschränken.

Die Einfügung des Artikels 104c GG setzt ein schwieriges Signal und falsche Anreize. Statt Bundeshilfen für finanzschwache Kommunen im Grundgesetz zu normieren, sollten die finanziell zuständigen Länder alles daran setzen, die Finanzschwäche von Kommunen zu beheben. Das eigentliche Ziel müsste es sein, dass es keine finanzschwachen Kommunen gibt. Stattdessen werden finanzschwache Kommunen jetzt sogar in der Verfassung verankert.

Ziel der Föderalismusreform 2006 ist gewesen, klare Strukturen und Verantwortlichkeiten in der Aufgabenwahrnehmung durch Bund und Länder zu schaffen. Dieses Ziel war richtig und ist weiterhin richtig. Mit Artikel 104c GG wird dieses Ziel ein Stück aus den Augen verloren. Am Grundsatz, dass für eine aufgabenangemessene auskömmliche Finanzausstattung der Kommunen die jeweiligen Bundesländer verantwortlich und zuständig sind, ist festzuhalten. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Bildungs-Infrastruktur, sondern insgesamt für alle von den Kommunen auszuführenden Aufgaben. Aus dieser Sicht besteht durch die Einfügung des Artikel 104c GG die Gefahr, dass ein dauerhafter Fehlanreiz gesetzt wird, dass Länder künftig Kommunen bei Investitionsbedarf an den Bund verweisen und somit aus der Erweiterung der Mitfinanzierungsmöglichkeit eine Mitfinanzierungszuständigkeit wird. Wir werden dies kritisch beobachten. Gut ist auch, dass der Bundesrechnungshof im Rahmen von Mischfinanzierungen künftig stärkere Prüfungsrechte hat.

Wir müssen in Zukunft auch aufpassen, dass aus dem ersten Schritt des Artikel 104c GG mit der Mitfinanzierungsmöglichkeit für den Bund in der Bildungsinfrastruktur finanzschwacher Kommunen keine Allgemeinzuständigkeit des Bundes für alle Probleme vor Ort wird. Das Argument, die Menschen würden es nicht verstehen, dass der Bund nicht für marode Schulen zuständig sei, ließe sich genauso auf marode Straßen und Brücken, andere öffentliche Einrichtungen oder geschlossene Schwimmbäder ausdehnen. Der Bund wird aber nicht in der Lage sein, alle Missstände vor Ort zu lösen – erst Recht nicht, wenn Länder die Hilfen des Bundes unterlaufen und den Kommunen immer größere Lasten aufbürden, um den eigenen Landeshaushalt zu schonen. Die SPD-Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben vorgemacht, wie dieses schlechte Spiel zulasten der Kommunen funktioniert.

Mit dem neuen Artikel 104c GG ist auch die Aufstockung des Kommunalinvestitionsförderprogramms von 3,5 Milliarden Euro auf sieben Milliarden Euro verbunden. Das ist immerhin einmal mehr ein Zeichen, dass wir als CDU/CSU-geführte Regierungspolitik bereit sind, den Kommunen zu helfen – wie wir dies in dieser Wahlperiode bereits vielfältig getan haben.

Bei aller strukturellen Kritik ergeben sich aus kommunaler Sicht aber auch Chancen aus der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen: Die stärkere Berücksichtigung der kommunalen Finanzkraft bei der Zuteilung der Finanzmittel auf die Länder in Artikel 107 GG ist ein wichtiger Schritt zur Behebung struktureller kommunaler Finanzschwäche. Dabei ist zwingend darauf zu achten, dass höhere Zuweisungen an die Länder tatsächlich dazu genutzt werden, die Steuerkraftunterschiede auf Gemeindeebene auszugleichen. Keinesfalls darf aus Artikel 107 GG ein Anreiz entstehen, die Steuerkraft der Kommunen zu senken, um höhere Beträge aus der Verteilung der Finanzmittel auf die Länder zu erhalten, um diese Finanzmittel dann im Landeshaushalt zu verbuchen.

Wichtig ist, dass die vom Bund für die Kommunen bereitgestellten Finanzmittel von den Ländern an die Kommunen weitergeleitet werden und dann auch ungekürzt und zusätzlich vor Ort ankommen. Kommunalfinanzen sind kein Beitrag zur Konsolidierung von Landeshaushalten. Eine gekürzte Weiterleitung der Bundesmittel oder eine Verrechnung im Zuge des kommunalen Finanzausgleichs sind ebenso inakzeptabel wie der Ersatz von Landesmitteln durch Bundeshilfen beispielsweise bei Investitionszuschüssen. Die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel müssen seitens der Länder ungekürzt und zusätzlich den Kommunen zur Verfügung gestellt werden, um – in Umsetzung der Bundesintention – deren Finanzkraft zu stärken. Auch eine Verrechnung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs ist unzulässig und mit der Absicht, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken, unvereinbar. Entsprechende Regelungen in Finanzausgleichsgesetzen der Länder sind zu korrigieren.

Auch der in der Änderung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes fortgeschriebene Verteilungsschlüssel zur Zuteilung der zur Stärkung der kommunalen Investitionskraft vorgesehenen 3,5 Milliarden Euro auf die Länder ist alles andere als unumstritten. Eine Einbeziehung der kommunalen Kassenkredite in den Verteilungsschlüssel greift in der vorgenommenen Form für eine dauerhafte Lösung zu kurz und setzt falsche Anreize. Es ist Aufgabe der Länder für eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen und deren Liquidität zu sichern, so dass die Aufnahme von Kassenkrediten und ein Ausweichen auf Anleihen und Wertpapierverschuldung erst gar nicht erforderlich werden. Haushalterische Disziplin darf nicht bestraft werden – ebenso wenig Ansätze der Länder, ihre Kommunen zu entschulden und vor struktureller Finanzschwäche zu bewahren. Es wäre schön gewesen, einen besseren Verteilungsschlüssel zu finden; letztlich ist dies angesichts der vielschichtigen Interessenslage dieses Mal aber nicht gelungen. 

Zur Verantwortung und Zuständigkeit der Länder für eine aufgabenangemessene Finanzausstattung der Kommunen gehört auch, Mehrbelastungen aus Aufgabenübertragungen im Rahmen der Konnexität auszugleichen. Dies gilt insbesondere für die Mehrbelastung aus der Umsetzung des Unterhaltsvorschussgesetzes. Wenn die Länder im Bundesrat einer Regelung zustimmen, die zu Mehrausgaben bei den Kommunen führen, können sie anschließend nicht auf den Bund verweisen, sondern müssen diese Mehrausgaben selber ausgleichen. Der Bund hat seinen Beitrag durch eine Erhöhung des Bundesanteils an den Leistungsausgaben des Unterhaltsvorschussgesetzes auf 40 Prozent geleistet. Dies allein wird jedoch nicht reichen, die Ausgabensteigerungen bei den Kommunen, bei denen zu den reinen Auszahlungen noch Kosten für Personal und Sachmittel hinzukommen, auszugleichen. Hier sind die Länder gefordert, die Beteiligung der Kommunen an den vom Land zu tragenden 60 Prozent so zu gestalten, dass es nicht zu kommunalen Ausgabensteigerungen kommt. Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen mit der höchsten Beteiligungsquote der Kommunen am Unterhaltsvorschussgesetz von 80 Prozent.

Im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen werden die bislang vom Bund bereitgestellten Entflechtungsmittel (ehemals u.a. GVFG, sozialer Wohnungsbau) ab dem Jahr 2020 nicht mehr als eigenes Bundesprogramm, sondern über einen höheren Umsatzsteueranteil der Länder bereitgestellt. Das bedeutet, dass nicht nur die investive Zweckbindung entfällt, sondern dass die Gefahr droht, dass diese Mittel auch im allgemeinen Haushaltsaufkommen der Länder zunächst untergehen. Die Länder müssen die bislang in den Entflechtungsmitteln enthaltenen Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden künftig den Kommunen über entsprechende Landesprogramme zur Verfügung stellen. Die Auflösung der Entflechtungsmittel zugunsten eines höheren Länderanteils an der Umsatzsteuer darf auf keinen Fall dazu führen, dass die bislang bereitstehenden Mittel künftig nicht mehr zur Verfügung stehen und in Landeshaushalten versickern.