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"Mit einer Stimme agieren" - Interview in DAS PARLAMENT

 

THORSTEN FREI Der CDU-Außenpolitiker meint, die EU solle sich im Syrienkonflikt stärker zugunsten einer Friedenlösung einbringen. Dazu seien aber Glaubwürdigkeit und Einigkeit nötig

Herr Frei, in diesem Jahr jährt sich zum 370. Mal der Friede von Münster und Osnabrück zur Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs. Kann man aus dem Westfälischen Frieden etwas für die heutige Zeit lernen, zum Beispiel zum Syrienkrieg?

Durchaus. Der frühere Außenminister Steinmeier hat einmal davon gesprochen, dass der Nahe Osten einen neuen Westfälischen Frieden bräuchte. Es gibt Parallelen in der Geschichte: Vor 400 Jahren ist ein Religionskrieg ausgebrochen, der sich schnell zu einem Verfassungskonflikt, Bürgerkrieg und europäischen Hegemonialkrieg entwickelt hat und zum ersten gesamteuropäischen Krieg geworden ist.

Auch im Nahen und Mittleren Osten haben wir viele Konfliktfelder. In Syrien geht es neben Hegemonialstreben und Machtkämpfen im Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten auch um Religion. Es gibt dort inzwischen ein großes Chaos, einen Bürgerkrieg, der heute internationalisiert ist, wo Iran, Türkei, Russland und die USA eine wesentliche Rolle spielen. Dort ist es schwierig Trennlinien zu ziehen und zu erkennen, wo Freund und Feind stehen. Nach der erfolgreichen Bekämpfung des "Islamischen Staates" ist alles noch einmal komplizierter geworden.

Sie erwähnten, dass in Syrien auch Großmächte wie Russland oder die USA mitmischen. Kann daraus ein Großkonflikt entstehen?

Die Gefahr besteht natürlich, weil wir im Nahen und Mittleren Osten viele Konfliktfelder haben. Wir haben den gigantischen Krieg in Syrien mit 500.000 Toten, wo zwei Drittel der Bevölkerung seit 2001 vertrieben wurde. Es gibt aber noch andere Konflikte, so in Libyen oder den furchtbaren Krieg im Jemen, der weitgehend aus den Medien verschwunden ist und wo die Bevölkerung schrecklich leidet. Dort ist aus einer zunächst regionalen Krise inzwischen auch ein Konfessions- und Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien geworden. Wenn man dies zusammenbetrachtet, kann man schon befürchten, dass alles in einem großen Konflikt endet. Das muss mit aller Kraft verhindert werden.

Zurück zum Dreißigjährigen Krieg. Der wurde erst beendet, nachdem sich in Münster und Osnabrück eine dritte Partei aus kleinen Reichsständen gebildet hatte und die großen Parteien aufeinanderzubrachte. Sehen Sie auch eine solche dritte Partei im Syrienkonflikt, die vermitteln könnte, etwa die EU?

Es ist bedauerlich, dass wir Europäer bei der Friedenssuche in Syrien und im Nahen und Mittleren Osten keine Rolle spielen. Das ist ein Konflikt in unserer Nachbarschaft, bei dem wir eigentlich in der Lage sein müssten, unmittelbare Ordnungsfunktionen zu übernehmen. Wir leiden ja vor allen anderen unmittelbar unter den Folgen, wenn man etwa die vielen Flüchtlinge betrachtet, die seit 2015 vor allem nach Deutschland gekommen sind. Man muss auch die islamistischen Anschläge in Europa betrachten. Wir sollten deshalb eine stärkere Rolle übernehmen. Das kann auch eine sein, die dort vermittelnd eintritt.

Müsste die EU nicht schon jetzt in dieser Hinsicht mehr tun?

Ja. Es ist bedauerlich, dass Gespräche über Syrien eher in Sotschi am Rand des Kaukasus stattfinden als in Europa. Im Grunde wäre die EU der ideale Ansprechpartner dafür. Das würde aber auch Glaubwürdigkeit, Einigkeit und die Fähigkeit voraussetzen, Positionen, die man gefunden hat, auch durchzusetzen.

Apropos EU: Sie versteht sich selbst auch als großes Friedensprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg. Beginnt mit dem Brexit ihr Zerfall?

Das sehe nicht so. 2016 war ein schwieriges Jahr, vor allem mit dem Brexit-Plebiszit, aber auch der Wahl von Trump zum US-Präsidenten. Dennoch sind wir aus dem Jahr 2016 gestärkt hervorgegangen. Wir haben mit der Außen- und Sicherheitspolitik ein Politikfeld definiert, wo wir gemeinsam einen echten Mehrwert erzielen. Dass wir im Nahen und Mittleren Osten keine Rolle spielen, hängt auch damit zusammen, dass die einzelnen europäischen Staaten alle nicht mächtig genug sind, ob Frankreich, Deutschland oder Großbritannien. Gerade in diesem Politikfeld sollte möglichst mit einer Stimme gesprochen werden, um das durchzusetzen, was man für wichtig hält. Damit könnte man eine friedensdienende Funktion übernehmen, nicht aus altruistischen Motiven, sondern weil es in unserem unmittelbaren Interesse liegt.

Zum Ausgleich der europäischen Schwäche gibt es seit 1945 den amerikanischen atomaren Schutzschirm. Wird auch unter Donald Trump die Nukleargarantie für Europa erhalten bleiben? Es gab ja zu Beginn seiner Amtszeit irritierende Äußerungen des US-Präsidenten dazu.

Wir haben uns in der Vergangenheit zu sehr auf andere verlassen. Dazu gehört vor allem der amerikanische atomare Schutzschirm. Richtig ist aber auch, dass alle europäischen Staaten zusammen weniger als die Hälfte für Sicherheit und Verteidigung aufwenden als die USA alleine. Das ist auf die Dauer nicht akzeptabel. Dazu erreichen wir trotz des Aufwands nur 15 Prozent der militärischen Effektivität der Amerikaner. Die Lücken kann man teils durch bessere Kooperation schließen, so bei der permanenten strukturierten Verteidigungs-Zusammenarbeit. Zudem sollte man, wenn man Mitglied in einer "Versicherung" wie der Nato ist, seine Beiträge bezahlen. Deutschland hat sich wie andere Staaten mehrfach, zuletzt 2014 in Wales, verpflichtet, bis 2024 zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Sicherheit und Verteidigung aufzuwenden.

Aber im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist diese Zahl nicht genannt.

Leider nicht. Wir liegen derzeit bei 1,2 Prozent jährlich. Aufgrund der anhaltend guten Konjunktur nimmt der Wert absehbar weiter ab. Es ist schließlich vorgesehen, für den gesamten Bereich der Außenpolitik zwei Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen - für Sicherheit, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und zivile Krisenprävention. Ich finde das zu wenig. Man kann nicht nur davon reden, mehr Verantwortung zu übernehmen und dann nicht die finanziellen Mittel dafür bereitstellen.

Washington und Moskau werfen sich Vertragsverletzungen bei der Reduzierung von Mittelstreckenraketen vor. Auch beim Atombombenabbau hapert es: Im neuen nuklearpolitischen Strategiebericht der USA ist keine Rede mehr davon, den Abrüstungsvertrag New Start zu verlängern. Washington will gar neue kleine Atombomben bauen. Ist es mit der Abrüstungsära zwischen den USA und Russland vorbei?

Es gibt unschöne Signale zwischen den USA und Russland. Wir sollten auf einen Pfad der Deeskalation zurückkehren. Wir müssen sehen, welchen Beitrag wir dazu leisten können. Die Situation mutet wie ein Wettrüsten aus alten Zeiten an, auch wenn man sieht, mit welchen Worten sich Putin an sein Volk wendet und wie Moskau enorme Mittel in die Erneuerung der atomaren und sonstigen Waffen steckt. Inzwischen gibt Russland 5,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Militär aus. Auch die enormen Ausgaben Chinas für seine Streitkräfte müssen wir im Blick haben.

Deutschland ist einer der Hauptgeldgeber für zivile Krisenprävention angesichts der vielen Konfliktfelder auf der Welt. Ist Berlins Engagement ausreichend?

Für den nachhaltigen Erfolg bedarf es einer gesamthaften Strategie. Deshalb haben wir vor allem auch die Mittel für die zivile Krisenprävention seit 2005 um das 25-fache von 12,6 Millionen auf heute 316 Millionen Euro gesteigert, angesichts der Krisen in der Welt die humanitäre Hilfe gar um das 31-fache. Da Krisenprävention umfassend zu verstehen ist, ist es auch beachtlich, dass wir bei der Entwicklungszusammenarbeit das deutsche Engagement seit 2013 um über 35 Prozent erhöht haben. Daran kann man sehen, welche Bedeutung wir dem Thema zumessen.

Das Gespräch führte Hans Krump.